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KASPAR ISENMANN IN KOLMAR

kippen drohen, das zeigt den noch ungelenken Stil, und wie es der Hand
schwer fällt, sich in die neue Beweglichkeit einzufühlen.
Wer aber brachte Isenmann die neue Kunde? Kam er noch in späten Jahren
nach den Niederlanden? Fand er den Weg selbst? Das sind Fragen, die nicht
leicht eine Antwort finden. Anklänge an Dirk Bouts begegnen auch bei ihm.
Und man wird schwerlich annehmen wollen, daß ohne jede äußere Einwirkung
Isenmanns Entwicklung sich vollzogen habe. Aber er gehört doch nicht in dem
gleichen Sinne zu den Schülern der Niederländer wie die kölnischen Meister
oder wie Herlin, die in der Fremde ihre Lehrzeit verbrachten. Isenmann er-
lebte als reifer Künstler die Werke des Rogier und Bouts, und ihre Lehren
wurden spät noch fruchtbar in seinem Schaffen.
Die Landschaft des Ölbergs (Abb. 136) erinnert in ihrem einfachen Aufbau an
die Raumkompositionen des Konrad Witz, und nicht zu ihrem Schaden. Kein
zeitgenössisches deutsches Bild stellt die Menschen so sicher und überzeugend
in ihre Umgebung. Zugleich ist die archaische Starrheit der Körperbildung,
in der Wolgemut zeit seines Lebens befangen blieb, bis auf geringe Reste über-
wunden. Der tänzerische Schritt des auf erstehenden Christus ist nicht gelöst, aber
er bedeutet in seiner Kühnheit ein Zeichen sehr bewußten Wollens und ent-
schlossenen Eingehens auf neue Problemstellungen, wie es nicht leicht einem
Künstler noch im sechsten Jahrzehnt seines Lebens glückt. Und die zwei Fi-
guren des Petrus und Malchus im Bilde der Gefangennahme Christi (Abb. 136)
geben den ausgebildeten spätgotischen Kontrapost mit der heftig gegensätz-
lichen Bewegung der Glieder in einer Gruppe, die in drei Jahrzehnten kaum
Überboten werden konnte. Isenmann gelingt es noch nicht, mehr als zwei
Figuren in so überzeugender Weise zu verschränken. Christus, der dem Knechte
das Ohr ansetzt, bleibt mit seiner Hand außer Reichweite. Aber diesen Fehler
beging auch Rogier in der berühmten Gruppe des jüngsten Königs und seines
Pagen vom Kolumbaaltar.
Der Altar des Isenmann muß als eine künstlerische Tat bewundert worden
sein. Und die Bedeutung eines Meisters, der als reifer Künstler ein so zu-
kunftsreiches Werk schuf, darf nicht unterschätzt werden. Unter allem, was
die Zeit der Rezeption des niederländischen Stiles an Kunstwerken in Deutsch-
land erzeugte, gehört Isenmanns Altar zu den selbständigsten und eigenartigsten
Leistungen. Folgenreicher als in irgendeinem Werke sonst kündet sich das spät-
gotische Barock an, und Schongauer, der die führende Persönlichkeit der
kommenden Zeit wurde, fand in Isenmann den besten Lehrmeister.
 
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