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Göbel, Heinrich; Göbel, Heinrich [Hrsg.]
Wandteppiche (II. Teil, Band 1): Die romanischen Länder: Die Wandteppiche und ihre Manufakturen in Frankreich, Italien, Spanien und Portugal — Leipzig, 1928

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https://doi.org/10.11588/diglit.16360#0056
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Fontainebleau

nach den uns noch erhaltenen Folgen zu urteilen, die ganze Belegschaft der Manufaktur
darstellten; Jean und Pierre Le Bries fungieren als Atelierleiter. Die malerische Auf-
sicht lag in Händen des Claude Badouin, der erst unter Bosso, dann unter Primaticcio
in Fontainebleau als erste Hilfskraft tätig und möglicherweise mit dem von Yasari er-
wähnten Claudio da Parigi identisch ist (6).

Es kommt leider in keiner Urkunde zum Ausdruck, woher die Wirkerkolonie zu
Fontainebleau stammt. Wahrscheinlich handelt es sich um das Zusammenarbeiten
von Flamen und Parisern. Pierre Le Bries dürfte mit dem Pariser Wirker Pierre le
Bryain identisch sein, der sich unter dem IS. April 1547 gegenüber Ysabeau Coterau,
der Gattin des Jacques d'Angennes, sieur de Rambouillet — der Auftraggeber Torcheux'
(1546)— zur Anlieferung einer nicht näher erläuterten Serie von neun Behängen inner-
halb von zwei Jahren zum Qundratellenpreis von IG ecus d'or soleil verpflichtet. Die
Tatsache beweist, daß die Wirker von Fontainebleau in der Umgegend des Schlosses
oder in Paris neben ihrer amtlichen Tätigkeit nach wie vor ihre privaten Ateliers im
Gange hielten. Pierre Le Boyart, der in Fontainebleau für den König arbeitet „en layne
les paintures et stueqs de Ja grant gallerye dudit Fontainebleau" und 1547 als Abschlags-
zahlung den Betrag von 675 Livres bezieht, ist lediglich beamteter Wirker. Ferner
liegt die starke Wahrscheinlichkeit vor, daß Jean Tixior mit dem gleichnamigen Pariser
Wirker (1551) identisch oder zum mindesten verwandt ist; Pierre Blassay ist der Sohn
des Erzeugers der prächtigen Folge zu Langres; Nicolas Eustace erscheint 1546 in Paris
als „maistre tapissier de haulte lisse". Das Übergewicht dürften zweifelsohne die Pa-
riser besessen haben. Die Tatsache ist um so bemerkenswerter, als sie die Leistungen
der Manufakturen der Metropole in ein außerordentlich günstiges Licht rückt, ihnen
einen Rang zuteilt, der sich aus den zur Verfügung stehenden dokumentarischen Un-
terlagen bislang nicht rechtfertigen ließ. Die Dianafolge und die große mythologische
Reihe in Wien verraten ein hohes technisches Können, das sich durchaus mit den
großen Ateliers von Brabant und Flandern messen kann. Die Durchführung der Staffage
und der Gewänder ist erstklassig, wenn auch bisweilen etwas hart; das Inkarnat ist
merkwürdig uneinheitlich, neben sehr fein wiedergegebenen Köpfen findet sich auch
manches mittelmäßige. Schwierigkeiten scheinen beim nackten Fleisch die Schatten-
partien gemacht zu haben. Ein typisches Beispiel ist die Gestalt des toten Orion in
der Dianenreihe. Die hell belichtete Brust und der linke Arm sind elegant und zart
in der Schraffentechnik gelöst, die Kehle setzt hart und unvermittelt an, die Unter-
schenkel wirken in der braunen Schattenlage klobig und schwer. Noch typischer
tritt die Erscheinung in den Bacchantinnen und Satyrn der Bordüre zutage. Der Grund
liegt nicht in der Wirktechnik, sondern in erster Linie in der Art der Durchbildung
der Patronen; der Zeichner der großen Kartons hat ersichtlich nicht immer Rücksicht
auf die Eigenart der Bildteppichwirkerei genommen, er behandelte die Patronen allzu
malerisch; der Wirker-, dem die zarten Fleischtöne nicht zur Verfügung standen, behalf
sich mit den vorrätigen dunklen Wollen — die Schattenlagen bei den Manneskörpern
sind nach den alten Wirkerregeln tiefer und stärker als bei den Leibern der Frauen
und Kinder —, das Ergebnis ist nicht immer1 erfreulich. Trotz alledem zählen die
Folgen von Fontainebleau, rein technisch genommen, zu den erstklassigen Erzeugnissen
der ßildwirkerei. Anders verhält es sich mit der1 Frage, ob die Entwürfe durchgängig
als Bildteppichvorlagen geeignet waren. Giovanni Battista Rosso empfing seine künst-
lerischen Anregungen von Andrea del Sarto, der Einfluß Michelangelos und Bandinellis
steigerte das rein plastisch eingestellte Empfinden des Meisters zu geschlossener mo-
numentaler Wucht, der nackte menschliche Körper tritt statuenhaft in den Vorder-
grund, die unangenehmen Überschneidungen und die allzu stark betonte Diagonal-
tiefenanordnung, die gewaltsam in den Rahmen gepreßten Figuren Pontormos und Bron-
zinos machen sich jedoch noch nicht bemerkbar. Dabei zeigen die Entwürfe Rossos
trotz aller Modellierung, trotz der maniriert raffinierten Drapierung der Gestalten, einen
Reichtum an dramatischem Empfinden, ein Pathos, das dem Wesen der Bildwirkerei
durchaus entspricht. Die Eigenart des Meisters, den reich bewegten Vordergrund durch

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