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Göbel, Heinrich; Göbel, Heinrich [Editor]
Wandteppiche (II. Teil, Band 1): Die romanischen Länder: Die Wandteppiche und ihre Manufakturen in Frankreich, Italien, Spanien und Portugal — Leipzig, 1928

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https://doi.org/10.11588/diglit.16360#0156
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Gobelins

3. Episoden aus der Fabel von Giulio Romano.

Die „Mythologischen Darstellungen" — „divers sujets de Julie Romain" auch „Sujets
de la fable" in den alten Inventaren genannt — sind mehr oder weniger genaue
Übertragungen der Romanoschen Kompositionen durch die Schüler der Acadömie
francaise zu Rom (seit 1684). Die Zeichnungen sind zum Teil noch in den Samm-
lungen des Louvremuseums vorhanden. Die Folge setzt sich aus acht Behängen zu-
sammen. Die Vorbereitungen zu Psyches Hoclizeitsfcst (Abb. 104) eröffnen den Reigen;
die Mittelgruppe zeigt Merkur, Flora, Pomona und drei Nymphen, links führt Vulkan
vor loderndem Feuer ein Gespräch mit einer gebückten Alten, in den Wolken schwebt
ein Genius, der die freudige Botschaft durch Hornruf kündet.

Als unmittelbare Fortsetzung erscheint im zweiten Behänge links wiederum der
Schenktisch mit den Goldschmiedearbeiten, in dessen Nähe Bacchus sitzt, die Hand auf den
Nacken Silens gestützt. In der Mitte ruhen Amor und Psyche auf bräutlichem Lager,
Zephir überstreut mit Blumen das Paar, eine Frau gießt wohlriechendes Wasser aut
Psyches Hand, eine Magd hält das goldene Becken; im Hintergrunde würgen Faune
den Bock.

Der dritte Teppich geht unter verschiedenen Benennungen: Frühling, Psyches Liebes-
zeit, Krönung der Psyche, Zephir und Flora. Die ruhende Götterbraut nimmt aus
Floras Hand die Blumenkrone entgegen. Amor und drei Nymphen beobachten die
anmutige Gruppe. Im Vordergrunde ruht schlafend Cybele neben dem Löwen, eine
Dienerin schmückt die doppelhäuptige Statue Pans mit Blumengewinden. Links sind
zwei Bauern mit Baumpfropfen beschäftigt. Das folgende, vielleicht reizvollste Motiv
der Serie (Abb. 105) zeigt das badende Paar; im fünften Behänge drehen sich die
Nymphen im Tanze, ein ruhender Jüngling spielt auf. Im sechsten Teppich tritt die
Hochzeitsmusik in Aktion; zwei Männer und drei Frauen singen zum Klange der
Leier, eifrig betätigt sich eine Zimbelschlägerin. Frohgemut drehen sich im siebenten
Behänge Schäfer und Schäferinnen im Rundtanz (Abb. 106), die Genossen spielen im
achten Behänge zum Reigen.

Die Folge, die sich ursprünglich einigermaßen genau an die Romanoschen Vorlagen
hielt — die Mehrzahl der handelnden Figuren war mehr oder weniger stark entblößt —,
erfährt 1699/1700 eine seltsame Wandlung; das Anstandsgefühl der königlichen Maitresse,
der Frau de Maintenon, nahm heftigen Anstoß an den „schamlosen" Darstellungen;
die Werkstättenleiter wurden veranlaßt, das mythologische Liebespaar und ihre Tra-
banten in dezente Gewänder zu hüllen; umfangreiche Teppichteile wurden nachträg-
lich herausgeschnitten und in entsprechender Weise ergänzt.

Die Wiederholungen erscheinen in zwei Bordürenlösungen, die erste (Abb. 104,108) von
Jean Le Moyne verbindet die Figuren von Hall6 und Boulogne mit ornamentalem, von Tier-
gestaltenbelebtemRankenwerkimStileRaffaels. Die zweite Fassung, von dem Ornamenten-
maler Pierre-Josse Perrot (Abb. 106), verbrämt den reich ornamentierten goldbraunen
Rahmen mit Blumenzweigen in natürlichen Farben, die den Eckkartuschen entwachsen;
auf weitgespannten weißen Flügeln lagert das von Rosenketten umtändelte Wappen
Frankreichs in der Mitte der oberen Leiste. Die Bordüre zählt zu den Lieblings-
motiven der Gobelins, sie kehrt mit gewissen Variationen in den „Jagden Ludwigs XV.",
nach Oudry, und in der „türkischen Gesandtschaft" von Parrocel wieder.

Die erste golddurchwirkte Hautelissereihe von acht Behängen entsteht in den Jahren
von 1686—1693 in den Ateliers von Jans und Lefebvre; abgesehen von dem letzten
Stück sind die Teppiche noch vollständig im französischen Staatsbesitze vorhanden;
die Höhen wechseln zwischen 4,90 m und 5,00 m.

Wenig später (1689—1700) wird eine zweite, völlig übereinstimmende Serie von den
gleichen Meistern auf die Gezeuge gelegt, Sie ging in den Stürmen der Revolution
verloren, während die dritte gleichartige Wiederholung (Jans und Lefebvre, 1693 bis
1705) bis auf die beiden ersten großen Stücke sich im Garde-Meuble National erhalten
hat. Die drei ersten Kopien zeigen die Le Moyne'sche Bordürenlösung, während die

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