Tours. Touraine. Grenzgebiete
die hellen Lichter. Es unterliegt kaum einem Zweifel, daß der ausführende Meister
die Brüsseler Wirkerschule kannte. Käme das Haupt allein in Betracht, so Hesse
sich, abgesehen von der eigenartigen rosa-blaßgelben Gesichtsfarbe, kaum ein Unter-
schied mit den Köpfen der besten van Roome-Orley-Teppiche feststellen. Mit der
gleichen Feinheit sind die Gesichtszüge der beiden Mönche, unmittelbar hinter dem
Baldachinträger, behandelt; braungelbe Tönung gibt die Grundstimmung, scharf liegen
die Spalten an dem verkniffenen Munde, der etwas aufgestülpten Nase. Mit der nämlichen
Virtuosität sind die Hände durchgebildet. An die Stelle der schweren dunkelbraunen
Umrißlinien der niederländischen Bildwirkerei tritt eine zarte mattbraune Fassung;
Spalten betonen Handballen und Nägel. Nicht minder schwierig gestaltet sich die
wirktechnische Wiedergabe der langen roten Gewänder, die umso flächenhafter in
Erscheinung treten, als auf den flämischen Farbenzirkel, den plastischen Ubergang von
Tiefrot zu Mattrot und Weiß, verzichtet wird. Wir finden nur ein einheitliches sattes
Zinnoberrot mit aufgesetzten gelbweißen Lichtern. Die wenigen, eine Nuance dunkler
gehaltenen Schraffenlagen kommen für die Gesamtwirkung kaum in Betracht; raffi-
niert sind die Lichter von schmalen, dunkleren Schattenstrichen gefaßt. Der Meister
macht von der Schraffentechnik in stärkerem Maße nur dann Gebrauch, wenn es gilt, eine
besonders markante Gewandfalte zu betonen. Wie mit dem Pinsel gesetzt, sprechen
die schmalen Schattenlagen, die nicht, wie in den Teppichen von Brüssel und Tour-
nai senkrecht verlaufen, sondern sich eng der Form anschmiegen. Mit den gleichen
einfachen, außerordentlich geschickt angewandten Mitteln wird auch das Brokatmuster
der Bahrendecke gelöst. Auf der oberen flachen, deshalb helleren Seite rahmen schmale
dunkelviolette Streifen das Muster. Form und Füllung der Ranken erscheinen in
einem weiß-rosa Ton. Die Schattenwirkung des herabhängenden Stoffes wird sehr
einfach dadurch erreicht, daß die Mustereinfassung in einem helleren Blau violett, der
Grund in einem matten lichten Gelbbraun wiedergegeben werden. In feinem Gegensatze
hierzu steht der Brokat des dem Beschauer näher gerückten Baldachins: Rotgelbe
Konturen rahmen die zierlichen Ranken, das sicher gesetzte Granatapfelmotiv; ein
zarter braungelber Ton füllt den Fond, Weißgelb das ornamentale Muster.
Mit der Sankt Stephanusseric ist verwandt — wenn auch nicht |allzu nah — das
um 1518 entstandene weit plastischer aufgefaßte Leben des heiligen Augustinus. Das
einzige mir bekannte Fragment mit zwei Bildern befand sich im Besitze der Münche-
ner Kunsthandlung J. Böhler (Abb. 319). Als maßgebende Quelle diente dem „Autor"
das Werk des Possidius, des Bischofs von Calame, «Vita S. Augustini". Die erste Episode
bringt eine legendäre Krüppelheilung. Wesentlich interessanter ist die zweite Szene, die
den Kampf gegen die afrikanischen, dem katholischen Glauben feindlichen Sekten
verherrlicht. Der große Kirchengelehrte steht im eifrigen Disput mit den Vertretern
der arianischen, der pelagianischen und der Manichäer-Richtung. Der Sieg ist sein, zu
Füßen des Augustinus winden sich Besiegte — Donatisten und Semipelagianer? —;
auf einem Scheiterhaufen lodern die Bücher der Häretiker. Etwas seltsam muten die
blühenden Blumenbüschel an, die Boden und Flammcnstoß decken, die unbekümmert
aus Qualm und Glut auftauchen. Von besonderem Reiz ist der Ausblick auf die Stadt
mit der mächtigen, turmgekrönten Wehrmauer. Ähnlich wie in der Sankt Stepha-
nusfolge sind die Episoden durch Pilaster getrennt, denen Ornamentwerk und elegant
durchgeführte Säulchen auf- und vorgelegt sind. Am Fuße der beiden rechten Pfeiler
erscheint das Stifterwappen, ein radschlagender Pfau.
Mit der Stephanusfolge wurde in der Literatur ein Stück (H. 0,72 m, L. 1,61 m) der
Sammlung Martin Le Roy in Verbindung gebracht (Abb. 320). Im Mittelmedaillon
neigt sich, ähnlich wie in der Gregormesse, der blutende Heiland vom Kreuze, am
Querbalken hängen zwei Geißeln. Auf dunkelblauem, mit Blumenbüscheln übersäten
Grunde halten zwei Engel in buntschillernden Flügeln — Rot, Blau, Grau — die Wacht,
Altarkerzen in den Händen. Durch rote Bänder gefaßte Blumen- und Fruchtgehänge
vertreten die seitlichen Bordüren. Unter dem Medaillon erscheint die Schrift DD.FE,
wohl die Abkürzung für Dominus fecit. Marquet de Vasselot, der Beschreiber der
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die hellen Lichter. Es unterliegt kaum einem Zweifel, daß der ausführende Meister
die Brüsseler Wirkerschule kannte. Käme das Haupt allein in Betracht, so Hesse
sich, abgesehen von der eigenartigen rosa-blaßgelben Gesichtsfarbe, kaum ein Unter-
schied mit den Köpfen der besten van Roome-Orley-Teppiche feststellen. Mit der
gleichen Feinheit sind die Gesichtszüge der beiden Mönche, unmittelbar hinter dem
Baldachinträger, behandelt; braungelbe Tönung gibt die Grundstimmung, scharf liegen
die Spalten an dem verkniffenen Munde, der etwas aufgestülpten Nase. Mit der nämlichen
Virtuosität sind die Hände durchgebildet. An die Stelle der schweren dunkelbraunen
Umrißlinien der niederländischen Bildwirkerei tritt eine zarte mattbraune Fassung;
Spalten betonen Handballen und Nägel. Nicht minder schwierig gestaltet sich die
wirktechnische Wiedergabe der langen roten Gewänder, die umso flächenhafter in
Erscheinung treten, als auf den flämischen Farbenzirkel, den plastischen Ubergang von
Tiefrot zu Mattrot und Weiß, verzichtet wird. Wir finden nur ein einheitliches sattes
Zinnoberrot mit aufgesetzten gelbweißen Lichtern. Die wenigen, eine Nuance dunkler
gehaltenen Schraffenlagen kommen für die Gesamtwirkung kaum in Betracht; raffi-
niert sind die Lichter von schmalen, dunkleren Schattenstrichen gefaßt. Der Meister
macht von der Schraffentechnik in stärkerem Maße nur dann Gebrauch, wenn es gilt, eine
besonders markante Gewandfalte zu betonen. Wie mit dem Pinsel gesetzt, sprechen
die schmalen Schattenlagen, die nicht, wie in den Teppichen von Brüssel und Tour-
nai senkrecht verlaufen, sondern sich eng der Form anschmiegen. Mit den gleichen
einfachen, außerordentlich geschickt angewandten Mitteln wird auch das Brokatmuster
der Bahrendecke gelöst. Auf der oberen flachen, deshalb helleren Seite rahmen schmale
dunkelviolette Streifen das Muster. Form und Füllung der Ranken erscheinen in
einem weiß-rosa Ton. Die Schattenwirkung des herabhängenden Stoffes wird sehr
einfach dadurch erreicht, daß die Mustereinfassung in einem helleren Blau violett, der
Grund in einem matten lichten Gelbbraun wiedergegeben werden. In feinem Gegensatze
hierzu steht der Brokat des dem Beschauer näher gerückten Baldachins: Rotgelbe
Konturen rahmen die zierlichen Ranken, das sicher gesetzte Granatapfelmotiv; ein
zarter braungelber Ton füllt den Fond, Weißgelb das ornamentale Muster.
Mit der Sankt Stephanusseric ist verwandt — wenn auch nicht |allzu nah — das
um 1518 entstandene weit plastischer aufgefaßte Leben des heiligen Augustinus. Das
einzige mir bekannte Fragment mit zwei Bildern befand sich im Besitze der Münche-
ner Kunsthandlung J. Böhler (Abb. 319). Als maßgebende Quelle diente dem „Autor"
das Werk des Possidius, des Bischofs von Calame, «Vita S. Augustini". Die erste Episode
bringt eine legendäre Krüppelheilung. Wesentlich interessanter ist die zweite Szene, die
den Kampf gegen die afrikanischen, dem katholischen Glauben feindlichen Sekten
verherrlicht. Der große Kirchengelehrte steht im eifrigen Disput mit den Vertretern
der arianischen, der pelagianischen und der Manichäer-Richtung. Der Sieg ist sein, zu
Füßen des Augustinus winden sich Besiegte — Donatisten und Semipelagianer? —;
auf einem Scheiterhaufen lodern die Bücher der Häretiker. Etwas seltsam muten die
blühenden Blumenbüschel an, die Boden und Flammcnstoß decken, die unbekümmert
aus Qualm und Glut auftauchen. Von besonderem Reiz ist der Ausblick auf die Stadt
mit der mächtigen, turmgekrönten Wehrmauer. Ähnlich wie in der Sankt Stepha-
nusfolge sind die Episoden durch Pilaster getrennt, denen Ornamentwerk und elegant
durchgeführte Säulchen auf- und vorgelegt sind. Am Fuße der beiden rechten Pfeiler
erscheint das Stifterwappen, ein radschlagender Pfau.
Mit der Stephanusfolge wurde in der Literatur ein Stück (H. 0,72 m, L. 1,61 m) der
Sammlung Martin Le Roy in Verbindung gebracht (Abb. 320). Im Mittelmedaillon
neigt sich, ähnlich wie in der Gregormesse, der blutende Heiland vom Kreuze, am
Querbalken hängen zwei Geißeln. Auf dunkelblauem, mit Blumenbüscheln übersäten
Grunde halten zwei Engel in buntschillernden Flügeln — Rot, Blau, Grau — die Wacht,
Altarkerzen in den Händen. Durch rote Bänder gefaßte Blumen- und Fruchtgehänge
vertreten die seitlichen Bordüren. Unter dem Medaillon erscheint die Schrift DD.FE,
wohl die Abkürzung für Dominus fecit. Marquet de Vasselot, der Beschreiber der
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