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Göbel, Heinrich; Göbel, Heinrich [Hrsg.]
Wandteppiche (II. Teil, Band 1): Die romanischen Länder: Die Wandteppiche und ihre Manufakturen in Frankreich, Italien, Spanien und Portugal — Leipzig, 1928

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https://doi.org/10.11588/diglit.16360#0377
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Nancy

kreuz und einem ungedeuteten Wirkermonogramm in der Mosesserie mehrfach wieder.
Meister Jan ist bis in die sechziger Jahre des 16. Säkulums in Brüssel tätig, er ver-
läßt als Protestant die Heimat, um der Proskriptionsliste Herzog Albas zu entgehen.
Um 1570 ist van Tiegen in Köln ansässig, um dann nach Wesel überzusiedeln. Es
besteht hiernach die starke Wahrscheinlichkeit, daß der Wirker in der Zeit zwischen
1562 und 1570 vorübergehend mit befreundeten Fach- und Glaubensgenossen und einem
Stab von Gesellen in Nancy in den Diensten des Herzogs stand. Wer war Meister Frantz?
Kommt Franz Raes in Frage, der gemeinsam mit dem Patronenmaler Andreas de Man
der Haft entflieht und wie Johann van Tiegen wahrscheinlich der Kölner „Geheimen
Gemeinde" angehört?

Schwierig ist die Deutung der zweiten Meistermarke der Mosesreihe. Das geome-
trische Zeichen kehrt wieder in einer Folge der Taten der Apostel im österreichischen
Staatsbesitz (7), die die Tiegen'sche Marke und außerdem eine Wirkersignatur
trägt, die wiederum in der Monatsfolge (8) — die später Coclet als Modell dient —
erscheint. Nach einem von Lepage mitgeteilten Beleg (9) erwirbt der Herzog 1574
die noch jetzt erhaltene Monatsreihe „rempli d'une grotesque" und die Taten der
Apostel (9 Behänge) — die Wiener Serie zählt gleichfalls neun Teppiche, die jedoch
das Wappen des 1563 verstorbenen Kardinals Ercole Gonzaga tragen — für den Be-
trag von 37284 Lothringer Franken von „Joost van Herselle, tapissier de Bruxelles"
und Girard Vool „marchant, demeurant en la ville d'Anvers". Um gebrauchte Serien
kann es sich, dem Preise nach, keinesfalls gehandelt haben. Es liegt die starke Wahr-
scheinlichkeit vor, daß eine der drei Marken (die vierte ist die des Jan van Tiegen)
Meister Joost zuzuschreiben ist. Die aus G.E.N.A. zusammengesetzte Signierung ist mög-
licherweise eine zweite Marke Tiegens — ich habe in dem 1. Teile meiner Wand-
teppiche nachgewiesen, daß ein Atelier mitunter mehrere Zeichen führte —, manches
spricht auch für die Zuschreibung an Nikolaus Leyniers (10). Für Herselle bliebe die
aus C und R, bzw. aus C.R.S. zusammengestellte Signatur und das geometrische Zei-
chen übrig. Ich neige mehr dazu, die letzte Marke, zumal sie sich mit dem Tiegen'-
schen Atelierzeichen auch auf der Mosesfolge wiederfindet, Meister Joost zuzusprechen.

Es ist kaum anzunehmen, daß vor Begründung des Tiegen'schen Ateliers in Nancy
eine selbständige Werkstatt von Bedeutung bestand. Albert Jacquot bringt in seinem
Essai de repertoire des artistes lorrains (11) zwar zahlreiche Wirkernamen, es scheint
sich aber mit Ausnahme von Luc Platel des Plateaux lediglich um Verwalter des her-
zoglichen Textilienschatzes gehandelt zu haben (12). Meister Luc stammt aus Lille,
in Anerkennung seiner Tätigkeit — ob als Wirker? — wird ihm am 28. Mai 1550
der Adel zuteil. Es erscheint nach den bisherigen Unterlagen m. E. gewagt, Platel
ohne weiteres mit den reichen Wirkereien — Wappenschilde des herzoglichen Paares
(Renatus II. und Philippine des Gueldres), Disteln, Kastanienzweige und Blüten auf
dunklen Fond gestreut —, die gelegentlich der Taufe des Kronerben Anton in der
Halle des Schlosses Bar-le-Duc hingen, in Verbindung zu bringen. Die Inventare von
1540 und 1552 geben zudem keinerlei Hinweise — vielleicht mit Ausnahme der
Maultierdecken „aux armes de Lorraine" —, die auf eine frühe heimische Manufaktur
schließen lassen. Lediglich die Tournaiser Folgen haben stark zugenommen. Wir
finden die Geschichte der Ägypter, die Karawanenserie, die Indienfolge „veaige de
Calcus", die Legende Jasons, die Einnahme von Jerusalem, die Winzerteppiche und
andere mehr. Jehan Careillier „tappicier, demeurant ä Tournay", wird 1523/24 mit
der „neufve bergerie" betraut. Die Folge faßt sechs Behänge mit 204V2 Quadratellen
Inhalt. Die Gesamtvergütung stellt sich auf 306 „frans neuf gros". Schon in den
voraufgegangenen Jahren erscheint der Wirker mit umfangreichen Arbeiten (13).

w eniger zahlreich sind die Brüsseler Neuerwerbungen vertreten. Als Lieferant er-
scheint zu Beginn der dreißiger Jahre des 16. Jahrhunderts ein Händler „Pierre Thierri,
demourant ä Fontenay en Bourgogne".

Der zweite Versuch, in Nancy ein landesherrliches Wirkereiatelier zu errichten,
fällt in den Beginn des 17. Jahrhunderts. Es erscheint der Brüsseler Wirker Harmant

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