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Göbel, Heinrich; Göbel, Heinrich [Hrsg.]
Wandteppiche (II. Teil, Band 1): Die romanischen Länder: Die Wandteppiche und ihre Manufakturen in Frankreich, Italien, Spanien und Portugal — Leipzig, 1928

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https://doi.org/10.11588/diglit.16360#0469
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S i e n a

V. S i e n a.

Der aus der Geschichte der Manufaktur Ferrara bekannte Renaud Boteram, auch
Rinaldo de Fiandra (de Burseies) oder di Gualtieri (Sohn des Gautier [Wouters]
Boteram) genannt, ein regsamer Brüsseler Meister, der namentlich im Wandteppich-
handel bemerkenswerte Erfahrungen besitzt, läßt sich auf italienischem Boden um
1436 zunächst in Siena nieder. Sein Gesuch an den Rat wird einer eingehenden Prü-
fung unterzogen, die Entscheidung zieht sich bis zum 19. November 1438 hin. Die
Republik sichert ihm bis zum Jahre 1440 eine jährliche Beihilfe in Höhe von 20 fl.
zu. Meister Rinaldo's Tätigkeit scheint die Herrn von Siena befriedigt zu haben, der
Vertrag wird 1440 auf weitere sechs Jahre verlängert. Die Werkstatt blüht, der
Wirker kommt zu Vermögen, er beginnt den Bildteppichhandel, der immerhin nicht
unbeträchtliche Mittel beansprucht, in großem Stile zu betreiben. Der neue Vertrag
ist noch in Kraft, als Meister Boteram (1445) wieder Siena verläßt, um im Dienste
des Hauses Este nach Ferrara überzusiedeln; von 1449—1481 ist der tüchtige Kunst-
handwerker für Lodovico Gonzaga in Mantua tätig. Eine Urkunde trägt seine Haus-
marke (s. Markentafel 15), die sich aber schwerlich auf einem Bildteppich wiederfinden
dürfte, aus dem einfachen Grunde, weil Wirkerzeichen im 15. Jahrhundert zu den
größten Seltenheiten gehören, und der behördliche Signierungszwang sich erst seit
den zwanziger Jahren des 16. Säkulums feststellen läßt. Im wesentlichen arbeitet
Boteram in Siena Garten- und Wappenteppiche — lange niedrige Behänge, die sich als
Rücklaken über den Bank- oder Truhensitzen hinzogen —, daneben auch umfang-
reiche „Spaliere" und gewirkte Bettausstattungen — Himmel, Seitenteile, Überdecken
und Friese (1).

Um 1442 erscheint Meister Giachetto di Benedetto (Jacquet, der Sohn des Benoit)
aus Arras. Die Republik zeigt sich nach den guten Erfolgen der Boteram'schen Werk-
statt durchaus entgegenkommend. Nach dem Vertrage vom 27. Oktober 1442 wird
dem Wirker ein zehnjähriges Privileg gewährt und die jährliche Beihilfe in Höhe von45fl.
festgesetzt. Als Gegenleistung übernimmt der Meister die Aufstellung zweier großer Ge-
zeuge und die kostenlose Ausbildung von Lehrlingen. Die Werkstatt entwickelt eine
lebhafte Tätigkeit. Im Laufe von rund einem Jahrzehnt gelangen mehr als 40 Be-
hänge zur Ablieferung, zumeist mit dem üblichen Blumen- und Wappendekor. Daß
der Künstler auch schwierigere Personenfolgen zu bewältigen verstand, zeigt die
Petrusgeschichte, die Jacquet 1451 für Papst Nikolaus V. fertigte, deren Unkosten sich
auf nicht weniger als 523 Goldflorins beliefen. Die Serie umfaßte sechs Teppiche, sie
findet sich u. a. in der Inventaraufnahme Leo's X. vorn Jahre 1518. Die päpstliche
Lieferung wird dem Wirker zum Verhängnis, er gibt seine gute und sichere Stellung
in Siena auf, siedelt nach Rom über und kehrt stark verschuldet 1456 wieder zurück;
die Republik ist genötigt, dem Meister einen auf zwei Jahre ausgestellten Gläubiger-
schutzbrief zu erwirken. Ob die Werkstatt Jacquet's, der als «vir egregius et famosus
magister" zweifellos einen hervorragenden Ruf genoß, je wieder in Gang kam, ent-
zieht sich meiner Kenntnis. Nach dem Guida della cittä di Siena vom Jahre 1832
sollen die von dem Meister gewirkten Teppiche damals noch vorhanden gewesen
sein (2).

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