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Begreifens der vorgewußte Lokalton die Farbe garantiert. Deshalb bleiben diese Farben
auch wenig differenziert und changieren nur nach Weiß oder Schwarz hinüber.

Dieser gewußten, nicht beobachteten Farbigkeit entspricht die nicht anders vorstellbare
besondere Teilhabe der Gesichter am einfallenden Licht. Zugleich ordnet sich die Per-
sonengruppe wie in einer flachen Bildbühne an, deren weitwinklig geöffnete Seiten-
kulissen die Tiefenbewegung darstellen und dennoch fast ebenso flach von vorne ge-
sehen werden können wie die bildparallele Rückwand. Die linke Tischecke gehorcht die-
ser Bühnenperspektive; die spiegelverkehrt entsprechende Kantenführung auf der ande-
ren Seite hat Hals — als für die Gesamtoptik unglaubwürdige Konsequenz — vermieden,
aber den Bewegungszug dieser räumlichen Richtung durch die schrägen Schärpen und
Degengurte sehr betont.

Die Proportion der aus gleichgroßen Einzelgestalten zusammengesetzten Gruppe ent-
spricht der Fernsicht, der Blick auf das Neben- und Miteinander dieser Personen zu einer
noch innerhalb des Bildraums zu vermutenden allseitig schwenkbaren Nahperspektive.
So entsteht eine doppelte Proportion: von den fast lebensgroßen Figuren der vordersten
Bildzone zu denen hinter dem Tisch ergeben sich nur geringfügige Verkürzungen (Nico-
laes Woutersz. und Vechter Jansz), die nicht durch die manieristische Illusion eines ent-
sprechend sich drehenden Rundblickes erklärbar werden: von oben nach unten ist der
Blickwinkel geschwenkt (der in Draufsicht erfaßte Tisch verrät das), doch die frontal aus
der gesamten Bildbreite erfolgende Wendung der Augen verweist den für die Aufmerk-
samkeit aller Porträtierten gemeinsam möglichen Bezugspunkt in eine starre Distanz
von etwa sechs bis zehn Metern zur Gruppe.

Trotz der Doppeldeutigkeit der Entfernung zum Gesehenen findet sich ein nahbildlich
gesteigertes, sinnenhaftes Erleben gerade der Nuancen: ein Differenzieren alles Indivi-
duellen, ein Betonen alles Bedingten, Momentanen (auch im Ausdruck: Lächeln, Schmun-
zeln, Erschrecken), eine neue Skala von Halbtönen, von milden Schatten, von einigen
wenigen Reflexen. Dazu kommt etwas völlig Neues: eine Rhythmisierung der Bildfläche,
aber nicht in Form ermüdender Wiederholung im Bildraum, sondern aus den gegenläufi-
gen, verschiedenen Raumzonen zugehörigen Konturen gebildet. Die Bewegtheit der Bild-
fläche macht am Rahmen nicht Halt: das Ausschnitthafte, Spontane, Glaubhaft-Beob-
achtete bestätigt die Charakterisierung der Bilderscheinung. Doch eben dieses Schmack-
haftmachen des Gesamteindrucks durch Übersichtlichkeit, Abwechslungsreichtum, Far-
benreiz verlegt den Maßstab in die individuelle Perspektive, in die überwiegend optische
Empfindung.

In der Betonung der äußeren, dem Beschauer sich zuwendenden Handlung liegt denn
auch dasselbe theatralische Moment, wie in der doppelten Bühnenperspektive. Es ähnelt
dem Literarischen auf dem Bilde des Piero: Gemeinschaft wird als Aktion, als Hand-
lungs- und Bewegungsverflochtenheit dargestellt, weil sie nur so sinnfällig zu machen ist.
Doch nichts ist den spezifischen Gruppenbilderfordernissen objektiver Darstellung so
antinomisch, wie der — anderes ausschließende — nahe, subjektive Aspekt. Hals läßt
diese Antinomie bestehen in der bühnenbildhaften Verbindung von Fernsicht und Nah-
sicht.

Objektiv erscheint dem von ferne blickenden Betrachter die Proportion; nimmt er seinen
Eindruck daraufhin ernst, so blickt er plötzlich in weitem Winkel um sich, geführt von
einer im Bildraum erst einsetzenden Nahperspektive. Von nahem Standpunkt zerrt sich
der Eindruck und verflüchtigt sich. Diese räumliche Dynamik — im einzelnen wie im

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