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Hals, Frans [Hrsg.]; Grimm, Claus <Prof., Dr.> [Hrsg.]
Frans Hals: Entwicklung, Werkanalyse, Gesamtkatalog — Berlin, 1972

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https://doi.org/10.11588/diglit.29837#0197
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SCHLUSS

Daß das Werk des Frans Hals nur noch Objekt für sezierendes Kalkül ist, dieser An-
schein mag hier zu Recht entstanden sein. Wo wissenschaftliche Fragestellungen weiter
dringen wollen als bisher, ist ein Höchstmaß innerer Distanz, ein möglichstes Vermeiden
emotionaler Identifikation ein Erfordernis. Dennoch will ich nicht verleugnen, daß der
ursprüngliche Anreiz und noch ebenso mein Verhältnis zu diesem Thema am Ende
solchen Kreisens um hermeneutische Spiralen unmittelbare Begeisterung an der künst-
lerischen Erlebnis- und Ausdrucksform ist. Eben diese möchte ich weitervermitteln. Der
Kunsthistoriker tut ähnliches wie der Restaurator und ist wie dieser beim Reinigen und
Aufdecken in Gefahr, zu scharfe Lösungsmittel zu verwenden oder auch bloß eine har-
monisierende Patina zu zerstören, unter der die Substanzen des Bildes ihre divergieren-
den chemischen Entwicklungen inzwischen vollzogen haben. Darum scheint mir der Hin-
weis notwendig, daß alles Aufspüren allgemeiner Mechanismen nicht die endgültige Ver-
flüchtigung des Phänomens der Kunst Hals' erreichen will, sondern gerade das Bloß-
legen des Einzigartigen an ihr. Einzigartigkeit kann ehrlicherweise für jede spätere Ge-
neration nur das besitzen, was ihr vergleichbar, das heißt in seiner Motivation nach-
vollziehbar wird.

Von der Kantigkeit des Craqueles und den Spezifika der formalen Einzelprägung zurück-
tretend möchte ich den Gegenstand dieser Abhandlung darum kurz in seiner Bedeutung
ansprechen, so wie sie mir auch heute noch nachvollziehbar erscheint. Eine gewisse Meta-
phorik erlaube ich mir als Ausdruck einer noch nicht völlig rationalisierten Begeisterung
und angesichts der Vielfältigkeit des Gesamten.

Hals' Werk stellh Höhepunkt und Wende einer neuen Wirklichkeitserfahrung dar; daß
diese vom Subjekt mitbestimmt und wesentlich sinnenhaft war, hat ihn zum Maler par
excellence werden lassen. Ein derartiges Interesse an der detaillierten Prägung mimisch-
physiognomischer Individualität als dem unmittelbarsten Widerschein der gestalterischen
Wirkordnung der Welt hat kein anderer Porträtist gehabt. Alle Künstler standen natür-
licherweise mit ihrem Individualstil und den von ihnen gewählten Motiven innerhalb
derselben gesellschaftlichen Bindungen; die Leistung Hals' ist jedoch, die Konventionen
des engeren Tätigkeitsbereiches, das tradierte Selbstverständnis der eigenen Aufgaben
weitestgehend überwunden zu haben zugunsten einer Neuorientierung: auf eine größere
Breite neuerdings eingespielter Sozialbezüge, anders geregelter Verständigungsweisen.
Seine historische Größe ist, sich an den fortgeschrittensten Möglichkeiten von Realitäts-
verständnis orientiert zu haben, nicht aber (inner- oder außerhalb dieser) den spezi-
fischen Erwartungen eines Auftraggeberkreises entsprochen zu haben. Sein Malen - wie
das der wenigen Großen — dient ontologischer Erfahrung; sein eigenwilliger Stil ist nichts
anderes als das immer neue Abtasten der Motive, in denen sich eine Einheit der erfahre-
nen ontischen Bezüge behaupten läßt.

Das Agieren des nahen Individuums, die weitestgehende Immanenz in seinen Impulsen
findet sich entsprechend suggestiv nirgendwo sonst realisiert. In der einseitigen Aus-
schließlichkeit seiner speziellen Thematik gleicht Hals den meisten holländischen Malern
seiner Zeit, nur erfaßt sein Teil-Aspekt das zentrale Motiv: den Menschen.

Eine direkte Nachfolge hat — jenseits weniger Werkstattbilder - der sehr persönliche Stil
Hals' nicht gefunden, vielleicht, weil er die besondere Perspektive seines Themas schon
selbst zu Ende gedacht, seine Abbildmöglichkeit erschöpft hat. Die großen Zeitgenossen

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