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Hals, Frans [Hrsg.]; Grimm, Claus <Prof., Dr.> [Hrsg.]
Frans Hals: Entwicklung, Werkanalyse, Gesamtkatalog — Berlin, 1972

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https://doi.org/10.11588/diglit.29837#0193
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Gegenstandes erfahren ist und sich bestimmten farblich-kompositorischen Anwendungs-
zusammenhängen erschließt, zeigen sich beharrende Tendenzen. In der darin statt-
findenden Bewertung des Realitätsgrades farblicher Wirkung nimmt die flämische eine
Mittelstellung zwischen der französischen und holländischen Malerei ein.

WISSENSCHAFTSTHEORETISCHE FOLGERUNGEN

Eine eingehende Beschreibung einer Tätigkeit, ihrer Vorbedingung und ihrer Wirkung,
ihres historischen Ortes in der Geistesgeschichte, all das ist hier nicht als Beitrag zu einer
konventionell monographischen Kunstgeschichte geschehen. Vielmehr bestätigte die
Auseinandersetzung mit dem Thema, daß der geläufige Begriff »Kunst«, geradeso wie
der Begriff »Stil« nichts in der Sache Konstantes trifft, da das mit ihm Bezeichnete stets
wesens- und zweckverschieden ist. Selbst Porträtmalen ist nie gleich Porträtmalen. Es er-
gibt sich daher die Frage, was die vorhandene Kunstgeschichte heutigen (aus heutigen
intersozialen Notwendigkeiten resultierenden) Fragestellungen vermitteln kann, nach-
dem das, was ihre Objekte eint, nichts mehr weiter ist, als daß die besondere Wir-
kungsebene dieser im breiten Feld des Anschaulichen liegt.

Die Methoden der vorhandenenKunstwissenschaft erlauben weitgehende Unterscheidung
zwischen den Eigenarten der einzelnen Werke. Das heißt aber, daß ganz bestimmte Zu-
gänge zu einem Nacheinander oder Nebeneinander spezifischer Handlungen möglich
werden. Diese Zugänge werden im selben Maße allgemein bedeutsam, in dem die spezi-
fischen Handlungen in einem Motivationszusammenhang mit anderen, d. h. mit gesamt-
menschlichen und gesamtgesellschaftlichen Interessen verknüpfbar werden. Meine Prä-
misse, sie von vornherein als Teil einer Struktur intersozialer Verständigung zu be-
trachten, sehe ich nicht nur durch die Ergebnisse soziologischer Überlegungen gestützt,
sondern auch durch die Bewährung meiner Folgerungen in der Aufklärung bisher un-
durchschauter kunst- und kulturhistorischer Zusammenhänge.

Intersoziale Verständigung geschieht über Allgemeinrelevantes, hier über Inhalte, in
denen die ursächlichen Kräfte von Natur und Geschichte jeweilig lokalisiert werden. Das
Maß, in dem die innere Thematik verschoben wird, in dem innere Themen und Begriffe
von äußeren abgehoben und reduziert werden — dies ist zugleich das Maß, in dem die
funktionalen Eigenschaften der bezeichneten Dinge und Verhalte dem Bewußtsein ver-
fügt sind. Auch hier zeigt sich das Subjekt als ein »Abstraktions- und Simplifikations-
Apparat — nicht auf Erkenntnis gerichtet, sondern auf Bemächtigung der Dinge«163. Die
Bemächtigung ist nicht immer eine direkte, sondern kann ebenso im Vergleichen be-
stehen, im Einbauen von Gesichertem in geistige Systeme, um partielle Verfügung
größeren Erkenntniszusammenhängen zu erschließen.

Die Rationalisierung im visuellen Bereich ist nicht eine Nebenstrecke der geistigen Ent-
wicklung. Das wertende, deutende »Sehen« ist eine geistige Leistung, die als Ordnen der
Augeneindrücke die Voraussetzung für die vielen scheinbar objektiven geistig-begriff-
lichen Systeme ist. Wo — wie bisweilen heute — dieses Fundament als selbstverständlich
angenommen wird, werden ihrer inhaltlichen Wertigkeiten nicht mehr bewußte Ein-

163 Friedrich Nietzsche, Werke Bd. XVI, Leipzig 1922, 515.

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