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Hals, Frans [Hrsg.]; Grimm, Claus <Prof., Dr.> [Hrsg.]
Frans Hals: Entwicklung, Werkanalyse, Gesamtkatalog — Berlin, 1972

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https://doi.org/10.11588/diglit.29837#0069
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»Singender junger Mann« in Göteborg (Nicolson-Kat. A 32, Abb. 90) zeigt eine bei
Hals wiederaufgenommene Handhaltung (in den »Singenden Knaben« (Kat. 35), deren
szenisches Gesamtmotiv bei Bloemaert vorgeprägt ist: in einem Stich von Cornelis
Bloemaert nach Abraham Bloemaert (Le Blanc 292, Hollstein II, S. 81 undatiert, jedoch
kaum später als 1625/26 Abb.60). Ebenso ist der »Weintrinkende Knabe« (Kat. 38)
Terbrugghens »Mann mit Krug und Fisch« verpflichtet (Nicolson, Kat. A 72, Abb. 91).
Und endlich sind auch Hals' Evangelistendarstellungen Terbrugghen in Haltung und
Typik verpflichtet — möglicherweise, doch nicht sicher, auch Hendrick Bloemaerts vier
Evangelisten (Ost-Berlin). In Einzelmotiven erinnern Hals' »Hamlet« (Kat.26), sein
»Verdonck« (Kat. 37) und auch der »Peeckelhaering« (Kat. 44) an Abraham Bloemaert
(Vgl. dessen »Flötenspieler« von 1621, Utrecht, dessen »Alte Frau« im Musee Calvet,
Avignon, gestochen 1625 von Cornelis Bloemaert und den Stich von P. Viel nach A. Bloe-
maert).

Vor allem sind es die Bilder Terbrugghens, mit denen Hals' Werke nach 1626 in den
stilistischen Merkmalen übereinstimmen: in der Beleuchtungsführung, der Modellie-
rung, der Farbskala (die dort noch etwas milchiger und zugleich brauntoniger ist) und der
Hintergrundgestaltung. Über die Utrechter Caravaggisten übernimmt Hals die isolierte
Darstellung genrehafter Einzelfiguren, die als Darstellung in Bewegung wiedergegebener
Halbfiguren eine italienische Tradition ist (man denke für das Musikantengenre an
Savoldos Flötenspieler75 oder als Vorläuferin des Porträtgenres Hals' an Giorgiones
Bettlerin).

Der »Lautenspieler«, 1626, Paris, Privatsammlung (Kat. 23, Abb. 39,40). Eine fast voll-
ständige Bildbeschreibung entsteht, wo man das aufzählt, was neu, weil aus Utrecht
übernommen ist. Das beginnt mit dem Thema des Musikanten, des Lautespielers in
seinem bunten Theaterkostüm. (Die betonte Nahsicht ist nichts völlig neues, doch die
Illusion der Nähe ist stärker geworden durch die drastische Plastizität des Kopfes und
der Hände.) Das Licht fällt sehr schrägwinklig von links ein; grelle Glanzlichter und
dunkle tiefe Schatten bilden dadurch nun innerhalb der Partien des Kopfes und der
Hände die Extremwerte, zwischen denen die ganze Skala möglicher Modellierungs-
helligkeit zur plastischen Durchformung aufgewandt werden kann. Je nachdem, ob sie
in der Lichteinfallsebene liegen oder nicht, ob sie durch anderes, räumlich Zwischen-
geschobenes abgedeckt werden oder nicht, leuchten die Partien auf. Die Schlagschatten
verdeutlichen die Tendenz, einzelne Partien der Gesichtsoberfläche ebenso wahllos zu
verdunkeln, wie andere herauszuheben. Die Gesichtsoberfläche als solche wird un-
wichtig —, wichtig wird ihre Teilhabe am Licht und an der Modelliertheit durch das
Licht: ihre Beleuchtetheit fasziniert und ihre Dimensioniertheit, die gesteigert erscheint
in der Bewegung. Das objektive Maß der Erscheinung verliert an Interesse, und es
werden erstaunliche Verkürzungen und Überschneidungen möglich. Deren verblüffendes
Arrangement ahmt den Effekt des Ungewollten, Zufälligen der Momentaufnahme einer
Bewegung nach. Die Einsicht in die stereometrische Gesamtproportion (wie sie bei den
Kasseler Pendants, um 1619, Kat. 9,10 gegeben war) hat sich stufenweise verwischt bis
zur überraschenden Nahprojektion von Teilaspekten eines räumlich unfixierten Volu-
mens. Waren bisher die Ansätze von Bewegung bildparallel oder in verfolgbarer

75 Vergleiche auch die Darslellung der Lautenspieler von Leandro Bassano und Francesco
Salviati und des Flötenspieiers von Francesco Bassano!

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