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6. DAS HOCHALTARBILD DER ANTEPENDIENTRADITION
Liturgische und architektonische Voraussetzungen
Bevor ein ständig auf dem Hochaltar befindliches Retabel möglich wurde, mußte eine grundsätzliche
Voraussetzung erfüllt sein, die darin besteht, daß der ursprünglich hinter dem Altar stehende Priester
diesen Platz aufgab und begann in der heute üblichen Form, den Rücken der Gemeinde zugewandt, das
Meßopfer zu feiern, wie dies bei den Seitenaltären, die mit der Wand unmittelbar verbunden sind, schon
seit ihrem Beginn üblich gewesen ist.
Dieser Stellungswechsel scheint nicht in allen Gegenden gleichzeitig vollzogen worden zu sein. Wegen der
Bedeutung, die der Brauch, nach Osten gerichtet zu beten, besitzt, vermutet Braun1 einen Zusammen-
hang mit der Ostung der Kirchen, durch die der Zelebrant, um diese Richtung einhalten zu können,
gezwungen wird, vor die Mensa zu treten. Obwohl eine verpflichtende Regel hierzu niemals bestanden
hat, geht doch aus den von Braun2 zitierten Ordines hervor, daß diese Neuerung schon im 9. und 10. Jh.
weithin verbreitet war. Im Hinblick auf die allerdings meist im Norden erhaltenen Denkmäler nimmt
Braun an, daß der neue Brauch, der im letzten Viertel des 13. Jhs. durch Durandus bezeugt ist, sich
bereits um 1000 fest eingebürgert habe. Als Ausnahmen weist er auf die gewesteten Kirchen im römischen
Bereich hin3, die aus dem Grunde der alten Orientierung an der bisherigen Form festhalten, und deren
Altäre meist mit einer Konfessio unterhalb der Stipesfront verbunden sind, die von vornherein jeden
Stellungswechsel ausschließt. Wie langsam sich dieser in Italien durchzusetzen beginnt, beweist die
Tatsache, daß die genannten Konfessioaltäre in Zusammenhang mit dem Aufschwung der Kosmaten-
technik, noch im 12. Jh. eine bis zum Ende des Dugento sich erstreckende Blütezeit erleben (Tivoli,
S. Silvestro, 12. Jh.; Ponzano Romano, S. Andrea del Fiumine, 12. Jh.4; Anagni, Kathedrale, 13. Jh.5;
Ferentino, Kathedrale, 13. Jh.6; Rom, SS. Nereo ed Achilleo, 12. Jh.; S. Cesareo, Ende 13. Jh.7; S. Georgio
in Velabro, 13. Jh.8.
Fern von Rom ist die Konfessioanlage in S. Pietro zu Civate (12. Jh.)9 ein Zeichen für das lange Fest-
halten an dieser Tradition, der auch der zum Volke orientierte Kastenaltar in S. Celso zu Mailand (12. Jh.),
dessen Frontseite sich in einer fenestella öffnet, zugehörig ist10. Ebenso scheint an verschiedenen Stellen
in der Toskana der Brauch, mit dem Gesicht zur Gemeinde zu zelebrieren, noch über einen längeren
Zeitraum weiter bestanden zu haben. So befindet sich in der aus dem 11. Jh. stammenden Kirche S. Ago-
stino bei Vaglisotto (Garfagnana) ein Blockaltar (Höhe 0,81 m, Breite 1,40 m, Tiefe 0,67 m), der nur
von der Rückseite her begehbar ist. Bei dem Tischaltar der Pieve S. Giorgio zu Brancoli bei Lucca
(Höhe 0,88, Breite 2,23, Tiefe 0,89 m) ist durch die mittlere Stütze, die die Gestalt eines dem Volke
zugewandt betenden Priesters besitzt, eine analoge Orientierung nahegelegt (Abb. 223; drittes Viertel,
11. Jh.)11.
Auf der im Museo Civico zu Pisa befindlichen Exultetrolle (12. Jh.) ist ein hinter dem Altar stehender
Priester bei der Feier des Meßopfers dargestellt12. Ähnlich wird noch am Ende des 13. Jhs. in S. Pietro
a Grado in der Umgebung von Pisa ein Bischof wiedergegeben, der einen den römischen Beispielen
verwandten Konfessioaltar konsekriert13. Ungefähr gleichzeitig ist das Fresko der Weihnachtsfeier zu
Greccio in Assisi, auf dem der Zelebrant die Richtung zur Gemeinde einnimmt (Abb. 86).
Die von Umberto Gnoli14 zusammengestellten umbrischen Exemplare von der Rückseite her benutzbarer
Altäre, bei denen aber noch ein Umstand eine Rolle spielt, auf den wir gleich zurückkommen werden,
lassen vermuten, daß im 12. und 13. Jh. eine allgemeine Lösung von der alten Tradition noch nicht statt-
gefunden hat, obwohl auch in Italien, wie die zitierte Stelle bei Durandus zeigt, die Orientierung zur
Apsis schon zu überwiegen scheint. - Eine zweite Vorbedingung für die Aufstellung von Retabeln ver-
langt, daß auch der Subdiakon die liturgische Position hinter dem Altar preisgab. Nach Braun15, der auf
den 1145 geschriebenen Ordo officiorum ecclesiae Lateranensis des Priors Bernhard verweist, verläßt
er diesen Platz jedoch auch in Italien bereits in der ersten Hälfte des 12. Jhs.
Noch bei dem 1118 datierten Altar der Badia S. Antimo in der Nähe von Montalcino (Siena) ist auf dem
Sockel hinter der Mensa ein fast ebenso breiter Raum (1,52 m) wie vor dem Stipes (1,68 m) für die an der
Meßfeier beteiligten Liturgen vorgesehen. Dies dürfte hier jedoch in erster Linie dadurch bedingt sein,
daß der Abt die alte Stellung hinter dem Altar beibehält. Analog besitzt der Bischof in S. Nicola zu Bari,
dessen um 1098 gefertigter Thron noch heute hinter der Mensa steht16, die Möglichkeit, als Vertreter des

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