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Nr. 10. HEIDELBERGER 1852.
JAHRBÜCHER DER LITERATUR.

Kurze .1 ii z e i s e n.

(Schluss.)
Mag auch zugestanden werden, dass das Nachdenken bei ihnen weniger
von wissenschaftlichem Bewusstsein ausging, nie ganz unabhängig war und da-
rum auch zu keiner Zeit diejenige Form gewann, in welcher wir die philoso-
phische Speculation zu begreifen gewohnt sind, so lässt sich ihnen doch nicht,
wie diess noch in neuester Zeit geschehen, ein Streben nach Einheit der Wis-
senschaft und nach Lösung der grossen Räthsel absprechen, welche die wech-
selvollen Ereignisse der Welt und des Lebens ihrem Geiste entgegenführten.
Die hebräischen Weisen hatten denselben Zweck vor Augen, von welchem über-
all die Philosophie ausgeht, nämlich auf dem Wege des freien Denkens über
das Empirische, Einzelne und Zufällige, zu dem nur dem Gedanken erreichbaren
Einen und Nothwendigen, zu dem Absoluten emporzustreben, sie suchten einen
höchsten Begriff zu entwickeln, unter welchem sie alle Momente des Seins sub-
sumirten, um ihre höhere Lebensansicht zu einer gewissen Einheit durchzubilden.
Obgleich nun diese philosophischen Bestrebungen erst im Salomonischen
Zeitalter in den Proverbien uns klarer entgegentreten, so glaubt doch der Verf.,
auch die ersten Versuche philosophische Probleme zu lösen, wie sie in den
cosmogonischen Fragmenten des Genesis enthalten sind, nicht übergehen zu dür-
fen. Diese Fragmente suchen offenbar die Frage nach dem Ursprünge der Welt,
nach der Entstehung des Menschen und seinem Verhältnisse zu den übrigen le-
benden Wesen, so wie auch nach dem Grunde des physischen und moralischen
Uebels zu beantworten und wenn auch bei der Lösung dieser Probleme die Ein-
bildungskraft nicht minder thätig war, als die des Denkens, so können sie, da
sie mehr die Befriedigung eines philosophischen als eines poetischen Bedürfnis-
ses bezwecken, doch nicht als blose Gedichte betrachtet werden. Folgende
Momente sind in diesem Schöpfungsmythus klar ausgeprägt: der althebräische
Goltesbegriff in aller naiven Kindlichkeit, doch auch in seiner ursprünglichen
Erhabenheit, die hebräische Weltanschauung mit ihrem festgewölbten, mit gros-
sen und kleinen Lichtern geschmückten Himmel, das tiefe Bewusstsein von der
auf Gotlähnlichkeit beruhenden Würde des Menschen und seiner Bestimmung zur
Herrschaft über die Natur und endlich die Vorstellung von einem goldenen Zeit-
alter und dem Verschwinden desselben mit dem Verluste der kindlichen Unschuld.
Von der Untersuchung über diese Cosmogonieen, welche auch für die
Exegese des alten Testaments manchen kostbaren Beitrag enthalten, geht der
Verf. zu den Erzeugnissen hebräischer Weisheit über und zwar zuerst zu den
vorexilischen, welche in den Proverbien und dem Buche Hiob ausgeprägt sind.
In den Sprüchen, von denen wenigstens der grössere Theil auf Salomon zurück-
geführt werden kann, wird zuerst die Weisheit Gottes als Princip der Welt-
schöpfung und als Inbegriff aller Vollkommenheiten, die sich dabei bethätigten,
aufgestellt. Die Weisheit erschien den Gnomikern als die eigentliche Substanz
XLY. Jahrg. 1, Doppelheft. 10
 
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