Nr. 23. HEIDELBERGER 1861.
JAHRBÜCHER DER LITERATUR.
Die Beweislehre in bürgerlichen Rechtsstreiligkeiten. Theoretisch-prak-
tisches Handbuch von Dr, W. Lang enb eck, vormals han-
noverschem, Obergerichtsassessor, jetzt Docenten der Rechte an
der Universität Jena. Leipzig. 1. Abth. 1858. 2. Abth. 1860.
3. Abth. 1861.
Unfehlbar ist der Theil des bürgerlichen Prozesses, worin der
Beweis der von einer Partei behaupteten, von dem Gegner geläug-
neten erheblichen Thatsachen geführt wird, der schwierigste, und die
Entscheidung darüber eine der bedeutendsten Aufgaben des Richter-
amts. Daraus erklärt es sich, dass schon die Römer in der Republik
die Entscheidung der bestrittenen Thatfragen dem judex pedaneus,
und nicht dem magistratus überliessen, und in England und Ame-
rika Geschworne über diese Frage entscheiden. Der Gesetzgeber
hat die Aufgabe, nicht blos die besten Wege aufzufinden, wie die
Wahrheit der von den Parteien häufig schlau verhüllten Thatsachen
und trotz ihrer Bemühungen, die Entdeckung zu hindern, hergestellt
werden kann, sondern auch die Mittel vorzuschreiben, weiche der
Richter anwenden darf, um die Herstellung der Wahrheit zu bewir-
ken und Regeln vorzuschreiben, die den Richter leiten sollen bei
der Beurtheilung, welche Thatsachen durch die geleisteten Beweise
als wahr angenommen werden dürfen. In dieser letzteren Beziehung
tritt dann in der Beweislehre die Verschiedenheit ein, ob der Ge-
setzgeber durch seine Beweisregeln die richterliche Beurtheilung
leiten oder selbst beschränken will, oder ob er dem Ermessen der
Richter, ohne Beweisregeln vorzuscbreiben, die Beurtheilung darüber,
was er als erwiesen ansehen will, überlässt. Es ist nicht zu be-
zweifeln, dass sich allmählig bei den Römern durch den Einfluss der
Philosophen auf das Recht, insbesondere durch Cicero, eine Summe
von Regeln ausbildete, die der Gerichtsgebrauch bei Entscheidung
der Beweisfrage befolgte; der eigentliche Ursprung über die gesetz-
liche Beweistheorie, wie sie vorzüglich in Deutschland, Frankreich,
Italien, Spanien sich entwickelte, muss im Mittelalter gesucht wer-
den, und zwar theils in dem canonischen Rechte, theils in dem bei
den geistlichen Gerichten ausgebildeten Gerichtsgebrauche, theils in
den wissenschaftlichen Werken, vorzüglich der Italiener und Spanier
über den bürgerlichen Prozess. Es war nun in Deutschland dem
Gerichtsgebrauche und der Rechtssprechung vorzüglich der Rechts-
fakultäten und der Wissenschaft überlassen, ein System von Regeln
für die Beurtheilung des Beweises aufzustellen. Als in neuerer Zeit
in vielen deutschen Staaten das mündliche Strafverfahren und selbst
das Schwurgericht eingeführt, die gesetzliche Beweistheorie aufge-
LIV. Jahrg. 5, Heft. 23
JAHRBÜCHER DER LITERATUR.
Die Beweislehre in bürgerlichen Rechtsstreiligkeiten. Theoretisch-prak-
tisches Handbuch von Dr, W. Lang enb eck, vormals han-
noverschem, Obergerichtsassessor, jetzt Docenten der Rechte an
der Universität Jena. Leipzig. 1. Abth. 1858. 2. Abth. 1860.
3. Abth. 1861.
Unfehlbar ist der Theil des bürgerlichen Prozesses, worin der
Beweis der von einer Partei behaupteten, von dem Gegner geläug-
neten erheblichen Thatsachen geführt wird, der schwierigste, und die
Entscheidung darüber eine der bedeutendsten Aufgaben des Richter-
amts. Daraus erklärt es sich, dass schon die Römer in der Republik
die Entscheidung der bestrittenen Thatfragen dem judex pedaneus,
und nicht dem magistratus überliessen, und in England und Ame-
rika Geschworne über diese Frage entscheiden. Der Gesetzgeber
hat die Aufgabe, nicht blos die besten Wege aufzufinden, wie die
Wahrheit der von den Parteien häufig schlau verhüllten Thatsachen
und trotz ihrer Bemühungen, die Entdeckung zu hindern, hergestellt
werden kann, sondern auch die Mittel vorzuschreiben, weiche der
Richter anwenden darf, um die Herstellung der Wahrheit zu bewir-
ken und Regeln vorzuschreiben, die den Richter leiten sollen bei
der Beurtheilung, welche Thatsachen durch die geleisteten Beweise
als wahr angenommen werden dürfen. In dieser letzteren Beziehung
tritt dann in der Beweislehre die Verschiedenheit ein, ob der Ge-
setzgeber durch seine Beweisregeln die richterliche Beurtheilung
leiten oder selbst beschränken will, oder ob er dem Ermessen der
Richter, ohne Beweisregeln vorzuscbreiben, die Beurtheilung darüber,
was er als erwiesen ansehen will, überlässt. Es ist nicht zu be-
zweifeln, dass sich allmählig bei den Römern durch den Einfluss der
Philosophen auf das Recht, insbesondere durch Cicero, eine Summe
von Regeln ausbildete, die der Gerichtsgebrauch bei Entscheidung
der Beweisfrage befolgte; der eigentliche Ursprung über die gesetz-
liche Beweistheorie, wie sie vorzüglich in Deutschland, Frankreich,
Italien, Spanien sich entwickelte, muss im Mittelalter gesucht wer-
den, und zwar theils in dem canonischen Rechte, theils in dem bei
den geistlichen Gerichten ausgebildeten Gerichtsgebrauche, theils in
den wissenschaftlichen Werken, vorzüglich der Italiener und Spanier
über den bürgerlichen Prozess. Es war nun in Deutschland dem
Gerichtsgebrauche und der Rechtssprechung vorzüglich der Rechts-
fakultäten und der Wissenschaft überlassen, ein System von Regeln
für die Beurtheilung des Beweises aufzustellen. Als in neuerer Zeit
in vielen deutschen Staaten das mündliche Strafverfahren und selbst
das Schwurgericht eingeführt, die gesetzliche Beweistheorie aufge-
LIV. Jahrg. 5, Heft. 23