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Stahr: Cleopatra.

brochene Einheit des Wollens und zwischen zwei Polen, Ehrgeiz
und Genusssucht schwankend, riss ihn die letztere endlich in den
Abgrund (S. 74). Also der Verfasser über Antonius und dessen
Charakter. Wir sind wahrhaftig in der letzten Zeit an manche
auffallende mit der historischen Ueberlieferung im Wider-
spruch stehende Beurtheilung der Männer, welche in der letzten
Periode der römischen Republik, in der Zeit ihres Uebergangs in
eine Alleinherrschaft eine hervorragende Stelle gespielt haben, fast
gewöhnt worden: die hier gegebene Auffassung des Antonius dürfte
diess Alles fast überbieten und darin uns den Beweis liefern, zu
welcher Verkennung des Thatsächlichen ein anerkannt geistreicher
und gewandter Schriftsteller sich hat hinreissen lassen aus natür-
licher Vorliebe zu dem Bilde, das seine geschickte Hand zu zeich-
nen unternommen und mit allem Farbenglanz auszustatten gewusst
hat. Und eben darum musste auch der Schriftsteller, dessen Dar-
stellung des Antonius in dem schneidendsten Gegensatz zu der hier
gelieferten Schilderung steht, um so tiefer gestellt, als der ge-
wissenloseste und boshafteste der Gegner des Antonius bezeichnet
worden, dem jede Glaubwürdigkeit abgeht. Wenn wir auch bei
Cicero die Leidenschaftlichkeit und Heftigkeit nicht in Abrede
stellen wollen, mit welcher der alte Republikaner wider seinen
politischen Gegner auftritt, den er als ein wahres Scheusal der
Menschheit darzustellen unternimmt, wenn wir darauf auch bei unserem
Endurtheil gebührende Rücksicht nehmen, so wird man doch auf
der andern Seite die vielen thatsächlichen Angaben, wie sie den
Ausführungen Cicero’s in dem von ihm in der zweiten philippischen
Rede gelieferten Lebensabriss des Antonius zu Grunde liegen, nicht
in Abrede zu stellen vermögen, selbst wenn man in Manchem
Uebertreibung oder eine Zuthat des Redners erkennen wollte, der
diese thatsächlichen Punkte aber gewiss nicht erfunden hat und
nicht erfinden konnte, ohne sich lächerlich zu machen und gerade
den Zweck zu verfehlen, den er mit seiner Rede und mit dem darin
gelieferten Lebensabriss des Antonius beabsichtigt hatte. Im Gegen-
theil, Cicero konnte nur durch die Zusammenstellung der wirk-
lichen Thatsachen, wie sie in der römischen Welt bekannt waren,
seine Zwecke erreichen. Und diese Thatsachen, an welchen zu
zweifeln kein Grund vorliegt, werden allerdings hinreichen, dem
nüchternen Forscher ein anderes Bild von Antonius zu geben, als
das, welches er hier in allem Glanze vorgezeichnet erblickt.
In panegyrischer, höchst anziehender Weise ist im neunten und
zehnten Kapitel der Aufzug der Cleopatra in Tarsus zu Antonius,
die Begegnung beider, und der Eindruck, den Cleopatra auf An-
tonius machte, so wie dessen Zusammenleben mit ihr zu Alexandria
geschildert. »Die Aphrodite vom Nil, heisst es S. 82, war ge-
kommen, die alle Männer besiegende, um den grössten der Schlach-
tensieger (?) zu überwinden«; dieser »bisher nur an die wüste
Schlemmerei roher römischer Ausschweifung gewöhnt und noch un-
 
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