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Frauenstädt: Schopenhauer’e Nachlass.

— 30)? Kunstgriff 29: »Wo man gegen die dargelegten Gründe
des Gegners nichts vorzubringen weiss, erkläre man sich mit feiner
Ironie für inkompetent: »Was sie da sagen, übersteigt meine Fas-
sungskraft: es mag sehr richtig sein; allein ich kann es nicht ver-
stehen und begebe mich alles Urtheils.« »Dadurch insinuirt man den
Zuhörern, bei denen man im Ansehen steht, dass es Unsinn ist.
So erklärten beim Erscheinen der Kritik der reinen Vernunft oder
vielmehr beim Anfang ihres erregten Aufsehens viele Professoren
von der alten eklektischen Schule: »Wir verstehen das nicht« und
glaubten sie dadurch abgethan zu haben« (S. 30). — Macht es
Schopenhauer nicht auch gerade so nach dem hier angedeuteten
Kunstgriff, wenn er der Hegel’schen Philosophie »Unsinn« vor-
wirft und Hegel »einen Unsinnschmierer« nennt? Kunstgriff 30:
»Eine uns entgegenstehende Behauptung des Gegners können
wir auf eine kurze Weise dadurch beseitigen oder wenigstens
verdächtig machen, dass wir sie unter eine verhasste Kate-
gorie bringen, wenn sie auch nur durch eine Aehnlichkeit oder
sonst lose mit ihr zusammenhängt, z. B.: »Das ist Manichäismus;
das ist Arianismus; das ist Pelagianismus; das ist Idealismus;
das ist Spinozismus ; das ist Pantheismus ; das ist Brownianismus ;
das ist Naturalismus; das ist Atheismus; das ist Rationalismus«
u. s. w. »Wir nehmen zweierlei an: 1) dass jene Behauptung
wirklich identisch oder wenigstens enthalten sei in jener Kategorie,
rufen also aus: »0, das kennen wir schon!«, — 2) Dass diese Ka-
tegorie schon ganz widerlegt sei und kein wahres Wort enthalten
könne« (S 31). — Macht es S. nicht gerade ebenso, wenn er seinen
Gegnern zu ruft: »Das ist Theismus; das ist Judenthum ; das ist
Christenthum; das ist Hegelthum« u. s. w. ? Kunstgriff 34: »Den
Gegner durch sinnlosen Wortschwall verdutzen, verblüffen. Wenn
er nun sich seiner eigenen Schwäche im Stillen bewusst ist, man-
cherlei zu hören, was er nicht versteht, und dabei zu thun, als
verstünde er es; so kann man ihm dadurch imponiren, dass man
ihm einen gelehrt oder tiefsinnig klingenden Unsinn, bei dem ihm
Hören, Sehen und Denken vergeht, mit ernsthafter Miene vor-
schwatzt, und solches für den unbestreitbarsten Beweis seiner eige-
nen Thesis ausgibt« (S. 33). — Dieser Kunstgriff enthält ein Recept,
das in der Philosophie und Theologie, besonders der dogmatischen
und speculativen Theologie, nur zu häufig angewendet worden ist.
Ein Anhang handelt vom Werth der Logik und der Selten-
heit der Urtheilskraft (S. 36 — 42).
Die zweite Abhandlung untersucht den Begriff des Interes-
santen. Während S. im dritten Buche der »Welt als Wille und
Vorstellung« das Interessante als das »die reine, willenlose
Comtemplation Störende aus dem Gebiete des Schönen und der
Kunst ausgeschlossen hat« (S. XIV), untersucht er in dieser Ab-
handlung, »inwieweit dennoch das Interessante in Werken der Dicht-
kunst zulässig sei.« Der Herr Herausgeber nennt die Abhandlung
 
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