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Kempter, Klaus [Hrsg.]; Boenicke, Rose [Hrsg.]; Universitäts-Gesellschaft <Heidelberg> [Hrsg.]
Heidelberger Jahrbücher: Bildung und Wissensgesellschaft — Berlin, Heidelberg [u.a.], 49.2005 (2006)

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https://doi.org/10.11588/diglit.2246#0013

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Anmerkungen zur jüngeren Debatte
über Bildung und Kanon

Ein Literaturbericht

KLAUS KEMPTER

Im Jahr 1999 erzielte der Hamburger Literaturprofessor Dietrich Schwanitz
einen großen Publikumserfolg mit einem Buch, das unter dem volltönenden
Titel „Bildung" einen Überblick zu geben versprach über „Alles, was man
wissen muss". Schwanitz, einige Jahre zuvor schon mit dem ebenfalls äußerst
populären Unterhaltungsroman „Der Campus" als Kritiker der real existie-
renden deutschen Universität hervorgetreten, ging in seinen beiden wenig
konventionell-akademischen Büchern von einer Diagnose aus, die in der zwei-
ten Hälfte der neunziger Jahre nicht mehr ganz neu war, in den Massenmedien
aber - und ebenso beim breiten „gebildeten" Publikum - auf ein großes und
überwiegend zustimmendes Echo traf. Diese Diagnose lautete etwa so: Die
Kulturrevolution von „1968" und die sozialdemokratisch geführten Bundes-
und Landesregierungen hätten das, was vom überkommenen klassischen Bil-
dungskanon die Wechselfälle des 20. Jahrhunderts und sogar den Untergang
des Bildungsbürgertums alter Schule überstanden hatte, mit einer „emanzi-
patorisch" inspirierten Politik der Nivellierung und Gleichmacherei zerstört.

I Die Wiederentdeckung der Bildung
Ausgangspunkte der neueren Bildungsdebatte

Seit Ende der neunziger Jahre also wogt eine breite Diskussion über „Bildung"
hin und her, die erste seit der Debatte der sechziger und siebziger Jahre, wel-
che ausgehend von den Büchern Georg Pichts und Ralf Dahrendorfs die Initi-
alzündung gab für die Bildungsreform und Bildungsexpansion der Großen und
der nachfolgenden sozialliberalen Koalition, die viele überkommene Struktu-
ren und Inhalte ins Wanken brachte.

Zwar hatten schon vor Schwanitz andere ins gleiche Hörn gestoßen. Die
Zahl der Leitartikel, Broschüren, Bücher etc., die den Verlust der Bildung, aber
auch des guten Benehmens, von Sitte, Anstand und Moral beklagten, wuchs seit
der „Tendenzwende" der siebziger Jahre, seit dem Stocken des wirtschaftlichen
 
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