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Kempter, Klaus [Hrsg.]; Boenicke, Rose [Hrsg.]; Universitäts-Gesellschaft <Heidelberg> [Hrsg.]
Heidelberger Jahrbücher: Bildung und Wissensgesellschaft — Berlin, Heidelberg [u.a.], 49.2005 (2006)

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https://doi.org/10.11588/diglit.2246#0163

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„Radikalphilologie"

Die Bedeutung der Altertumswissenschaften

für die heutige Bildung

JÜRGEN PAUL SCHWINDT

Die Frage nach der „Bedeutung der Altertumswissenschaften für die heutige
Bildung" ist gewiss geeignet, bei manchem Erforscher des Altertums Unbe-
hagen, zumindest Ratlosigkeit oder Verlegenheit hervorzurufen. Begriff und
Vorstellung der „Bildung" sind in den heutigen Altertumswissenschaften pro-
blematisch geworden. Das schließt natürlich nicht aus, dass die Wissenschaften
vom Altertum nicht nach wie vor ihren Beitrag zur „heutigen Bildung" zu leis-
ten hätten. Ob, und wenn, wie sie dies heute noch tun können, auf diese Frage
wird in einem Essay niemand ernsthaft die Antwort suchen. Zumal Verfas-
ser vorliegender Skizze, als Philologe, gleich für drei methodische Vorausset-
zungen um Verständnis werben muss: dass er 1) Philologie als privilegierte
Methode der kontrollierten Gegenstands- und Gehaltsfeststellung (divinatio,
inventio) betrachtet, folglich 2) auch über Bildung nur philologisch sprechen
kann, 3) über Texte sprechen muss, Texte, versteht sich, die seinem „Gegen-
standsbereich" angehören.

Vorbemerkung

Auch der Begriff der „Altertumswissenschaften" ist problematisch. Nicht nur
ist unsicher, wie eng oder wie weit ein solcher Begriff heute zu fassen wäre;
er impliziert in jedem Falle ein bestimmtes historisches Konzept, das seine
Blütezeit um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert erlebte.

Entwickelt haben sich die Altertumswissenschaften im Anfang des 19. Jahr-
hunderts durch jenen Prozess der Ausdifferenzierung spezieller aus General-
wissenschaften, der auch in anderen Zweigen der Humanwissenschaft gleich-
zeitig zu beobachten ist. Leitwissenschaft war in der Anfangsphase die Klas-
sische Philologie, aus der sich in der Mitte des Jahrhunderts die spezielleren
Wissenschaften der Archäologie, der Alten Geschichte, der Papyrologie, Epi-
graphik und Numismatik entwickelten. Die Ausfaltung der Einzeldisziplinen
hat rasch zur Profilierung eigenständiger Fachkulturen beigetragen, deren
Kompatibilität sich zunehmend zur Gegenstandsgemeinschaft verengte. Im
Übrigen wurden die philologischen Altertumswissenschaften philologischer,
 
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