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Kempter, Klaus [Editor]; Boenicke, Rose [Editor]; Universitäts-Gesellschaft <Heidelberg> [Editor]
Heidelberger Jahrbücher: Bildung und Wissensgesellschaft — Berlin, Heidelberg [u.a.], 49.2005 (2006)

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.2246#0164

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152 Jürgen Paul Schwindt

die historischen historischer. Der gleichzeitige Aufschwung philologischer und
historischer Methodologien verfestigte die Fachgrenzen. Erneute fruchtbare
Annäherung der Disziplinen setzte wohl ein entwickeltes Bewusstsein von der
konzeptionellen Labilität „unserer" Gegenstände voraus. Gemeinsames Nach-
denken über Bildung hätte - aus philologischer Perspektive - dort anzusetzen,
wo noch keine Gegenständlichkeit den Blick auf das verstellt, was in den Texten
geschieht.

Vorgeschichte oder
Wie die Altertumswissenschaft die Bildung verloren hat

Noch zu der Zeit, als die Klassische Philologie die Königsdisziplin der alten
Philosophischen Fakultäten war, gerieten bestimmte Konzepte von Bildung
in Misskredit. Nicht nur plädierte auch Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff
für die Einführung des „Realgymnasiums", er wandte sich persönlich gegen
die Herausforderungen, die erst Nietzsches, dann Georges antihistoristisch-
vitalistische Kunstphilosophie für die in den Altertumswissenschaften trans-
portierten Bildungskonzepte bereithielt.

Und doch kann man nicht eigentlich sagen, dass sich die Klassische Phi-
lologie freiwillig von ihren Bildungsansprüchen verabschiedet hat. Zwei Welt-
kriege, die Ausmerzung der jüdischen (und großbürgerlichen) Intellektualität
und Kosmopolitie und ein bald evolutionär, bald reformatorisch sich entwi-
ckelndes Bildungswesen haben die Alte Philologie auf die Dauer ihrer Ansprü-
che entwöhnt. Kurz gesagt, philologische paideia-Konzepte haben Katastro-
phen nationalen und internationalen Ausmaßes weder verhindert noch auch
nur vorhergesehen, sondern womöglich sogar befördert: Es ist nur scheinbar
ein Paradox, dass der Bildungsbegriff, soweit philologisch bestimmt, auf dem
Höhepunkt seiner konzeptionellen Virulenz, mit Werner Jaegers „Drittem Hu-
manismus", unterging. Er ist heute hoffähig nur in der Sprache und Vorstel-
lungswelt der Humanismusförderungsgesellschaften. Neue Impulse hat er von
den Altertumswissenschaften nicht erhalten noch solche in ihnen ausgelöst.

Die Klassische Philologie glaubte ihren Beitrag zur Bildung die längste Zeit
darin erblicken zu können, dass sie auf die für zeitlos erachteten Werte, Gehalte
und Inhalte der griechisch-römischen Welt verwies. Seltener sprach sie von den
Formatierungseffekten (formale Bildung), die die Arbeit an Formproblemen
mit sich bringen kann. So gut wie nie erinnerte sie an die Voraussetzungen,
die notwendig sind, das kulturelle „Erbe" auf der Höhe seines je historisch-
zeitgenossenschaftlich durchgesetzten und behaupteten künstlerischen Be-
wusstseins zu adaptieren.

Gegenwart oder Die Leerstelle

Wenn die Altertumswissenschaften auch heute noch bildend wirken können,
so tun sie dies für gewöhnlich en passant, ihre Bildungseffekte sind kontingent.
 
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