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Kempter, Klaus [Hrsg.]; Boenicke, Rose [Hrsg.]; Universitäts-Gesellschaft <Heidelberg> [Hrsg.]
Heidelberger Jahrbücher: Bildung und Wissensgesellschaft — Berlin, Heidelberg [u.a.], 49.2005 (2006)

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https://doi.org/10.11588/diglit.2246#0097

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Werte für ein demokratisches Bildungswesen 85

Gebote wie die Anerkennung von Eigentum und Leib und Leben, schließlich
verdienstliche Mehrleistungen wie Mitleid und Wohltätigkeit.

Da die rangniederen Werte die Neigung haben, sich als höherrangige Werte
auszugeben, droht eine Verschiebungsgefahr. Bei aller Wertschätzung etwa von
Folgsamkeit und Fleiß oder von Effizienz darf man diese nicht auf die Stufe der
Gerechtigkeit stellen. Nur wer sich den funktionalen Werten nicht sklavisch un-
terwirft, freilich auch nicht im Namen der Grundwerte die funktionalen Werte
verachtet, wer statt dessen über eine kritische Urteils- und Handlungsfähigkeit
verfügt, ist zu einem sinnerfüllten und gegen seine Mitmenschen verantwor-
tungsvollen Leben fähig.

Aus den Grundwerten lassen sich spezifische, mittlere Werte gewinnen, die
von den jeweiligen Gesellschaftsverhältnissen und Handlungsoptionen, auch
von wechselnden Bedürfnissen und Interessen abhängen, daher verschieden
ausfallen und trotzdem nicht gegen gemeinsame Grundwerte sprechen. Auf
der Grundebene gibt es sowohl empirisch als auch normativ gesehen für die
gesamte Menschheit, auf der mittleren Ebene teils für Kulturen und Epochen,
teils für einzelne Gemeinwesen geteilte Werte. Wer dagegen die Differenz von
Grundwerten und mittleren Werten übersieht, erliegt einem ethischen Relati-
vismus, der gemeinsame Verbindlichkeiten zunächst empirisch, oft aber auch
normativ bezweifelt.3

II Ein Blick in die Weltgeschichte

Die Frage, welche Werte eine Gesellschaft zusammenhalten,bewegt die Mensch-
heit seit ihrer Frühzeit: Einen deutlichen Beleg bietet die lange Zeit vor der
Philosophie, unser erster Gipfel: der Mythos. Um das überragende Gewicht
der entscheidenden Werte sinnfällig zu machen, personifiziert der Mythos sie
zu Göttern. Aufgeklärte Ohren halten den Mythos für vorrational, folglich für
obsolet; eine aufgeklärte Aufklärung sieht dagegen den sachlichen Kern, der
bis heute überzeugt. In säkularer Spiache bedeutet die göttliche Gestalt, dass
die entsprechenden Werte sich durch eine überpositive, der Willkür des Men-
schen entzogene Gültigkeit auszeichnen. Nach Ansicht der Griechen zeugt die
höchste Autorität, Zeus, mit dem Gegengewicht von Macht, der Göttin von Sit-
te und Ordnung, Themis, drei Töchter, die Hören. Die erste, Dike, sorgt für
Sitte, Recht und (gerechte) Rechtssprechung, die zweite, Eirene, für einen Frie-
den, der das wirtschaftliche und kulturelle Wohlergehen einschließt; Eumonia
schließlich bemüht sich sowohl um gute Gesetze als auch um deren persönliche
Anerkennung durch den Rechtssinn.

Drei Momente dieses Mythos weisen über seinen vormodernen und vorde-
mokratischen Kontext weit hinaus: 1. Mit Dike und Eumonia zweifach vertreten,
bildet der Inbegriff zwangsbefugter Regeln, das Recht, den überragenden Wert.

Zur knappen Kritik: Hoffe 2002a, Artikel Relativismus.
 
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