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Kempter, Klaus [Hrsg.]; Boenicke, Rose [Hrsg.]; Universitäts-Gesellschaft <Heidelberg> [Hrsg.]
Heidelberger Jahrbücher: Bildung und Wissensgesellschaft — Berlin, Heidelberg [u.a.], 49.2005 (2006)

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https://doi.org/10.11588/diglit.2246#0114

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102 Ingrid Schoberth

formationen religiösen Sprechens und Lebens wahrzunehmen und die Ver-
schiebungen und Veränderungen in Differenz und Übereinstimmung mit den
tragenden Formen gelebten Glaubens zu diskutieren. Der Theologie kommt
dabei eine besondere und auch öffentliche Rolle zu, weil die Beschreibung
der religiösen Transformationen nicht nur im distanzierten Beschreiben von
Phänomenen der religiösen Gegenwartskultur stehen bleiben kann, sondern
immer auch notwendige Unterscheidungen formulieren muss. Ist es die Ei-
genart des Religiösen, dass es keinen Menschen unbeteiligt lässt, weil jeder
Mensch elementare Urteile und Kriterien darüber braucht und hat, wie sei-
ne Welt beschaffen ist und was seinem Leben Richtung gibt, so kann es bei
aller notwendigen wissenschaftlichen Distanz auch keinen wertfreien Blick
auf die religiöse Gegenwartskultur geben. Solche Elementarunterscheidungen
werden wiederum in der Theologie thematisch, so dass sie durch die Offenle-
gung und Diskussion der normativen Dimensionen und Entscheidungen einen
hilfreichen und weiterführenden Beitrag zu einer sensiblen und die religiösen
Transformationen aufspürenden Wahrnehmung der Gegenwart leisten kann.
In der Formulierung gemeinsam geteilter Orientierungen wie in der Wahr-
nehmung von differenten Entwürfen trägt die Theologie dazu bei, sowohl die
eigenen Grundlagen öffentlich erkennbar zu halten, wie auch einen kritischen
Diskurs zu unterstützen und lebendig zu halten, der unabdingbar ist für eine
Praxis gemeinsamen Lebens in der Welt, die ein menschliches Antlitz haben
und bewahren soll.

Der Religionsunterricht an öffentlichen Schulen kann darum als ein exem-
plarisches Bewährungsfeld des christlichen Glaubens wahrgenommen werden.
Gerade die Lebenswelt der Schüler ist nicht zuletzt im Feld des Religiösen von
Transformationen gekennzeichnet. Die klassische Säkularisierungsthese, die
ein fortschreitendes Absterben von Religion in der Moderne behauptet, hat
sich allerdings längst als unhaltbar erwiesen; die Bezüge und Kontexte, in de-
nen sich Religion bewegt, haben sich jedoch verändert. Dabei sind religiöse
Phänomene, auch wenn sie sich oft als unartikuliert oder diffus zeigen, kei-
neswegs marginal für die Wahrnehmung der Gegenwartskultur. Gerade in der
Lebenswelt der Schüler finden sich zahlreiche Momente, die nicht anders als
religiös genannt werden können: Hier ist etwa an ihren Umgang mit Musik
zu denken, in der Schüler ihre eigenen Bedürfnisse, ihre noch undeutlichen
Erfahrungen und Sehnsüchte kommunizieren. Dabei spielen nicht nur reli-
giöse Anspielungen in den Texten der Songs eine Rolle, sondern die Musik
schlechthin wird zum Ausdruck einer Empfindsamkeit, die den Jugendlichen
hilft, ihre Gegenwart und ihren Alltag auf etwas Neues hin zu überschreiten.
Dieses Aufspüren einer Wirklichkeit jenseits des Vorfindlichen und Vertrauten
kann als Kennzeichen der Jugendkultur überhaupt gelten, nicht nur im Blick
auf die religiöse Bildungs- und Erziehungsaufgabe.

Darum stehen auch die religiösen Bildungsprozesse vorrangig vor der Auf-
gabe, die Entwicklung der Jugendlichen zu begleiten, indem ihnen Hilfen zur
 
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