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Kempter, Klaus [Editor]; Boenicke, Rose [Editor]; Universitäts-Gesellschaft <Heidelberg> [Editor]
Heidelberger Jahrbücher: Bildung und Wissensgesellschaft — Berlin, Heidelberg [u.a.], 49.2005 (2006)

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.2246#0238

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226 Rose Boenicke

Wendung bekommen; was unter Bildung verstanden werden soll, kann nun
nicht mehr nur normativ diskutiert, sondern muss auch pädagogisch ausge-
legt werden, indem zum Beispiel nach der Dynamik von Entwicklungspro-
zessen und den Gestaltungsformen des Verhältnisses zwischen Erwachsenem
und Kind gefragt wird. In umgekehrter Blickrichtung nahm die Pädagogik
wiederum die Reformideen der Aufklärungstradition auf und erweiterte ihre
Perspektive über das pädagogische Verhältnis zwischen Individuen hinaus auf
gesellschaftliche Aspekte. Das Selbstbewusstsein dieser gesellschaftskritischen
Pädagogik formuliert Mollenhauer 1964, wenn er schreibt: „Pädagogische Re-
formtheorien holen seit Rousseau [...] und Fichte [...] nicht mehr nur auf
dem Felde der Erziehung Entwicklungen nach, die andere Bereiche der Gesell-
schaft schon durchlaufen haben, sondern entwickeln zugleich mit ihren Erzie-
hungsprogrammen vorwegnehmende gesellschaftliche und politische Ideen"',
wobei diese Vorwegnahme nicht systemimmanent gedacht ist, sondern sich
zunehmend als Instrument der Analyse falscher Praxis, Einspruchsinstanz
und Korrektiv versteht. Daraus wird in den sechziger und siebziger Jahren
ein starker Anspruch, nämlich die subjektiven Bedingungen gesellschaftlicher
Veränderung in Richtung auf Durchsetzung dieser Ideale „mindestens nicht zu
verschütten, im Grunde aber sie selbst hervorzubringen."2

Anfang der achtziger Jahre hat die Erziehungswissenschaft die Formulie-
rung ihrer Aufgaben zurückgenommen auf „Fragen der konkreten Gestaltung
gesellschaftlicher Teilbereiche wie zum Beispiel dem des Bildungssystems".3
Dies bedeutet nicht zwangsläufig den Verzicht auf die leitenden Intentionen
kritischer Pädagogik, sondern eher deren Transformation in operationalisier-
bare Fragen wie die nach hemmenden und fördernden Sozialisationseinflüssen
auf die Entstehung selbstbestimmten Handelns. „Über pädagogische Bezie-
hungen, Bildungsbarrieren, Lehrstrategien, Verhaltensstörungen, Curriculum-
Konstruktionen, Lernprozesse, soziale Funktionen pädagogischer Einrichtun-
gen usw. lässt sich seitdem mit besseren Gründen reden." 4

I Im Namen von Rationalität und Emanzipation

Vierzig Jahre nach Herausbildung einer Kritischen Erziehungswissenschaft, die
Demokratisierungsforderungen mit der Analyse ungleicher Bildungschancen
bzw. der systematischen Benachteiligung von Teilen der Gesellschaft verband,
sind deren Befunde so aktuell wie je zuvor. Wenn die PISA-Studie verdeut-
licht, dass die Koppelung von geringem Sozialstatus und Ausschluss von Bil-
dungsmöglichkeiten in Deutschland enger ist als in vergleichbaren Industrie-
nationen, stellt sich jedoch die Frage, was zu der weitgehenden Folgenlosigkeit

Mollenhauer 19648,105 (Hervorhebung R.B.).
Mollenhauer 1964b, 74 (Hervorhebung R. B.).
König/Zedler 1982,9.
Mollenhauer 1982,263.
 
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