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Kempter, Klaus [Editor]; Boenicke, Rose [Editor]; Universitäts-Gesellschaft <Heidelberg> [Editor]
Heidelberger Jahrbücher: Bildung und Wissensgesellschaft — Berlin, Heidelberg [u.a.], 49.2005 (2006)

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.2246#0402

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390 Dieter Langewiesche

gen zwei konträre Organisationsmodelle: das französische und das deutsche,
das wir retrospektiv meist das Humboldtsche nennen.2 Beide entstanden um
1800, in einer Zeit der staatlichen und gesellschaftlichen Neugestaltung Euro-
pas. Das französische Modell fand zwar Anklang in Süd- und Osteuropa, doch
durchgesetzt hat sich, national jeweils modifiziert, das deutsche. In Frankreich
entstanden Spezialhochschulen unter strikter staatlicher Lenkung und Zen-
tralisierung, konzentriert auf Paris. In Deutschland, in Österreich und in der
Schweiz bildete sich hingegen ein Universitätstypus heraus, der schließlich um
die Wende zum 20. Jahrhundert in Europa wie auch in den USA und Japan
das Ideal der modernen Universität verkörperte: ein Ort freier Wissenschaft,
vom Staat ermöglicht, der jedoch keinen Zugriff auf den inneren Bereich der
Forschung erhielt und auch nicht auf die Lehre, weil sie aus der Forschung
hervorgehen sollte.

Voll verwirklicht wurde dieses Ideal nicht, wie es bei Idealen zu sein pflegt,
aber es erwies sich doch als stark genug, um im 19. Jahrhundert die Universität
neu zu erschaffen. Erst jetzt wurde sie zur Forschungsuniversität. Das war die
Grundlage für ihren Erfolgsweg. Es war zugleich die Voraussetzung, um den
Aufstieg der modernen Naturwissenschaften in die Universitäten zu integrie-
ren. Auf dieser Entwicklung von einer Institution, die vor allem lehrte, zu der
zentralen Stätte von Forschung, beruhte auch das Ideal studentischer Eigen-
verantwortung als der dritten Säule neben der Freiheit von Forschung und
Lehre. Aus dieser Trias ging die neue Universität hervor, zunächst im deutsch-
sprachigen Raum, dann auch in England und den Vereinigten Staaten in den
Grundzügen übernommen, zugleich aber den dortigen gesellschaftlichen Be-
dingen angepasst, also auch verändert.

Dieses Modell, das die Universität als Einheit von Forschung und Lehre be-
greift, hat die anderen Wege zur modernen Universität keineswegs entwertet.
Die unterschiedlichen Ausgangsmodelle entwickelten sich vielmehr in einem
Prozeß wechselseitigen Lernens, der keines unverändert ließ. So wurden seit
der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auch in Deutschland außeruniversitäre
Forschungseinrichtungen geschaffen - ein Weg, den Frankreich mit den wis-
senschaftlichen Einrichtungen, die an die Stelle der nach 1793 aufgelösten
Universitäten traten, schon früher beschritten hatte, während zur gleichen
Zeit, als in Deutschland mit der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft die große Zeit
der außeruniversitären Forschungsinstitutionen begann, in Frankreich erneut
Universitäten errichtet wurden. Die Wissenschaftssysteme näherten sich also
einander an, wenngleich die Unterschiede erheblich blieben. Bis heute.

Daß die Geschichte der Universitäten in Europa keinem einheitlichen Bau-
plan gefolgt ist, gehört zu den Voraussetzungen ihrer einzigartigen Erfolgsge-

Als Humboldtsches Modell wurde es erst bezeichnet, als es vor 1900 in die Kritik geriet; zuvor
hatte sich die deutsche Universität zur Forschungsuniversität entwickelt, ohne dass man dieses
Etikett verwendet hat. Vgl. dazu grundlegend Paletschek 2001.
 
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