Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Heidelberger Zeitung — 1862 (Juli bis Dezember)

DOI Kapitel:
Oktober
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.2835#0317

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Wdelbtrgkr Iritlmg.

M: 23V. Mittwoch, O-tober 18V2.

* Politische Umschau.

Als Vicepräsldettt in Weimar ist nicht
Brater, wie es gestern in der Depesche irr-
thümlich hieß — sondern Bärth gewählt
worden.

Die „Berffksche Zeitung" schreibt: „Ein Mi-
nisterium Bismarck bedeutet, daß im Rathe
deS Königs hie Adels - Zntereffen über das
Volkswohl den Sieg davongetragen haben.
Nicht so ist also die Frage zu stellen: ob Kö-
nigthum, ob Parlament, sondern es ist die
Frage: ob Preußen noch länger in einer Ver-
sassung bleiben soll, die es möglich macht, daß
nicht das Wohl von achtzehn Millionen, son-
dern die Jntereffen von einigen Tausend
Adels-Familien maßgebend sind für die Ein-
richtungen des Staates."

Nedakteur Hagen in I n si e r b u r g, der
zur Erzwingung einer von ihm verweigerten
Namensneiinung gefangen saß, wurde bekannt-
lich vor einigen Tagen frei gelassen. Das
Gericht ging von der Ansicht aus, als Strafe
sei die Haft im Verhältniffe zu dem Vergehen
schon groß genug und als Zwangsmittel ver-
fehie sie ihren Zweck, indem der Gefangene
sich in Folge oer Geldsammlungen zu seinen
Gunsten in seinen Vermögensverhältnissen ver-
beffere. Dies ist ein sonderbarer Entschei-
dungsgrund!

Die ministerielle Sternztg. meldet die Ernen-
nung des Hrn. v. Selchow zum Oberpräsidenten
von Brandenburg. Skin Wahlerlaß vor einigen
Monaten gehörte bekanntlich zu denen, die
am Meiften Aufsehen erregten, nnd Herr v.
Zagow sah sich genöthigt, ihn wegen unge-

alS Gemeindeschreiber u. Chorsänger vorzugs-
weise zu übertragen, doch sollen die Unter-
richtsstunden nicht daru.nter leiden, da die
Knaben sonft einen neuen Vorwand erhielten,
die Schule nicht zu besuchen. Das reiche Frank-
reich, „reich genug seinen Ruhm zu bezahlen",
sollte sich doch wahrlich schämen, zu dem arm-
seligen Aushilfsmittel kleiner und mittelloser
Zudengemeinden zu greifen, die einen Lehrer,
Vorsänger und Schächter in einer Person
suchen.

Der französische Gesandte in Nom, Mar-
quis de Lavalette, ist nach Paris abgereift.

Der „Moniteur" hat heute der Welt eine
sieben Spalten lange Ueberraschung bereitet;
allein bej einiger näheren Betrachtung er-
gibt es sich, daß dieselbe nicht weit her ist.
Es ist nur eine neue, sorgfältig ^urchgesehene
Auögabe der alteu Geschichte, vie immer ge-
rade da aufhörr, wo sie erst für Zcdcrmann
inlereffant würde, nämlich an der Entschlie-
ßung Frankreichs für den nunmehr bis zur
äußersten Evidenz constatirten Fall einer Wei-
gerung des Papstes, auf irgend eine noch so
verlockende Transaction auch nur entfernt
sich einzulassen. — Die bctreffenden (in einem
Telegramm bereits auszugsweise mtlgetheii-
ten) Actenstückc werden vou ber „France"
förmlich im Triumphe gefeiert; die „Patrie"
und der „Constituiionnel" verbergen ihre Ver-
legenheit unter der Begeisterung, vie ihnen
die kaiserlichen Worte einstößen; bie „Temps"
erinnert daran, daß sew dem 20. Mai sich
die Verhältnisie gewaltig geändert haben; die
„Preffe" meint, der Kaiser habe bereits am
20. Mai auf die Dringlichkeit der Lösung der
römischen Krage hingewiesen, und er müffe

schrieben: la kraooe se venä Lei; der Volks,
witz hält den Platz für eine solche Znschrift
ganz geeignet.

„Patrie" glaubt zu wissen, bei einem Fa-
milienrath in Reinhardsbrunn habe die Köni-
gin von England beschlossen, zu Gunsten des
Prinzen von Wales, nach deffen Verheirath-
unjff abzudanken.

Die Veräußerung der päpstlichen Gürer in
der Havanna ist beschlossen.

Aus Neapel wird berichtet, daß die reac-
tionären Banden wieder zunehmen. Es sollcn
neue Truppen nach dem Süden geschickt
werden.

Deutschland

Karlsruhe, 29. Scpt. Das heute erschienene Neg.--
Bkatt Nr. 46 er-.thält: I. Unmittelbare allerhöchste Ent»

Landposkanstalt bctrcffend. Dieselbe enthält solgeode Be-

Ärt. 1. Der Postdienst wtrd auf sämmtliche Landorte
dcs GroßherzojithumS in der^Ärt ausgedehnt, daß allc Land-

mächtigten tritl in Wegfall.

s) sür Briefe und Schriftenpakete biS 16 Loth

3 kr. per Stück;

b) für Kreuzbandsendungen bks 16 Loth 1 , „ ,

6) für Fahrpostsendungen biS 5 Pfd.

Gcwicht, bezietuiigSw. biS 100 fl. Werth 3 „ „ „

^s) ftr Fahrp^stsendungen über 5 Pfund ^Gewich^tVe-

^ Die für die gewöhnliche Postbeförderung verordneten

Art. 3. Die Bestimmungen der Art. 3, 4, 5, 6, 11
und 12 der Verordnung vom 24. Febr. 1859 sind hier-

1) Bekanntmachungen dcS großh. HandelSministenums. a)
Deu Vollzug der allerhöchstlandeSherrl. Verordnung vom
20. Sept. d. I., die Verbesserung der Landpostanstalt be-
treffcnd. b) Dte Einführung etner einheitlichen Brief«
portotaxe im inncrn Verkehr deS GroßherzogthumS betr.

setzlicher Androhungen gegen gewiffe Gewerb-
treibende zu rectificiren.

Zm Danziger Landkreise cirkulirt eine Er-
gebenheitsadresse an den König zur Unter-
schrift, m welcher die tiefste Rene und «scharn
über die zweimalige Wahl bemokratischer Ab-
geordneten versichert wird. Achnlichc Adreffen
werden wohl jetzt, wo der Reaction von Neuem
der Kamm schwillt, in Scene gcsetzt werdcn.
Wir können uns aus einen maffenhaften Adres-
senschwindel gefaßt machen. So die Volks-
zeitung.

Mit dem nächsten Quartale soll ein politi-
sches Beiblatt zur „Gartenkanbe" unter der
Redaction von Berthold Auerbach erscheinen.

Zn einem Circular des Ministers sür den
össentlichen Unterrichr wird, um das Loos der
Lehrer in den kleinen Gemeinden etwas zu
verbessern, empfohlen, denselbcn die Stellen

deshalb sagen, und dieses sei das Wichligsie, daß
dieselbe heule noch dringlicher geworden sei;
die „Opin. nationale" spricht sich in dcmsel-
ben Sinne aus, boch weniger energisch. Neues
sagt jedoch keines der Blätter, und man merkt
allen an, baß sie nicht wissen, was eigentlich
geschehen soll. An der Börse machte sich die
Zweidentigkeit der Veröffentlichung der Do-
cumente rm „Monsteur" ebenfalls sühlbar.
Erst fand man sie schlecht, und man fiel, dann
sanb man sie gut, unb ging wieder in die
Höhe.

Das ehemalige englische Unterhausmitglied
sür Lambelh, W. Noupcü, stand gestern in
Newgate wegen Fälschung vor Gericht und
wurde zu lebenslänglicher Zwangsarbeit ver-
urtheilt.

Ein Zeitungsverkäuser am Eingange dcs
Senatspalastes hat an seiner Boutique ange-

Das Eisenbahn-Ungliick auf der Statiou vou
Market-Hlirborough.

Aus dcn in den Zeitungen vorliegenden ausführ-
lichern Berichten hierüber heben wir folgende De-
tails Heraus: Es waren zwei Ertrazüge zum Be-
such der Ausstellung eingerichtet worden, welche von
Burton nach London und von Leicester und zurück-
gehen sollten. Die Rückfahrt für den Zug von
Leicester war um 7 Uhr 30 Minnten Nachmittags
angemcldet, der Zug nach Burton sollte zu dersel-
bcn Stunde abgchen. Beide standen einander zur
Seitc an ihren Perrons auf ver Kings-Croß-Sta-

zuerst abgehen würde^ Es trat jedoch eine Verzö-
gerung ein, und als endlich der Burton-Zug fich
in Bewegung setzte, schlug es bereitS uhx.
Nur fünf Minut'en später wird der Zug für Lei-
cester, wohlgemerkt auf denselben Schienen und
mit denselben Vcstimmungen hinsichtlich der Zeit
der Ankunft und des Abganges zu Bcdford und
Market-.Harborough, in Bewegung gesctzt. Auf
der Fahrt nach Bedford verminderte der Führer

des Leicester-, d. h. dcs nachfolgenden Zuges, die
Schnelligkeit wiedcrholt, um dem vorangehenden
für die Haltepunkte Zeit zu gestattrn, abcr es wurde
erst zu Bedford angehalten, wo der Burton-Zug
die Station gerade in dem Augenblicke verließ, wo
der für Leiccster in Sicht kam. Nachdem Wasser
cingenommen war, bcgann die Todesjagd auf's
Neue. Endlich kam die so oft Hinausgcschobene
Katastrophe.

Vier Minuten vor der Station von Market-
Harborough vernahmen die bereits beängstigten

langes Warnfignal geben, dem schneü hintcrcinan-
der eine Reihe jener kurzen, scharfen und convul-
sivischen Geheultöne der Dampfpfeife folgten, welche
uumittclbar drohcnde Gefahr anzeigen. Während
dieser schrccktichen Musik kam das TodeSdrama zu
seincm Finale. Der Leicester-Zug, beladen mit
dem Gewichte von 1000 Paffagieren, stürzte und
stieg auf die hintersten Wagen des Burton-Ertra-
zugcs, welcher soeben Market-Harborough erreicht
und angehalten hatte. Der Zusammenstoß fand
Nachts um l/,i2Uhr statt, und verrieth die ange-
kichtete Zerstörung sofort durch Geschrei und Win-

seln, welches aus den zertrümmerten Wagen her-
vordrang. Drei verstümmelte Körper lagen be-
wegungslos und still in dem Gewirr von Eisen,
während cin Haufen von 400 verwundeten und ver-
letzten Menschen die Luft mit Wehgeschrei und Kla-
gen erfüllten. Männer mit gebrochenen Glied-
maßen auf improvisirten Bahren fortgetragen, Wei-
ber mit Beulen und Quetschungen bedeckt, ohn-
mächtig oder schreiend, und ein Bahnhof, angefüllt
mit blaffen und zitternden Paffagieren, welche der
Gefahr entschlüpft waren, — das war das Schau-
spiel, welches der Bahnhof von Market-Harborough
Donnerstag (28. August) Mitternacht darbot.

Aus dem Bericht über die" zu Harborough abge-
haltene Lodtenschau ergibt sich, daß nur ein Mann
auf der Stelle todt blieb. Derselbe war, indem
der untere Theil des Körpers förmlich wie in Stücke
zerhackt aussah, so furchtbar verstümmelt, daß ihn
fein eigener Bruder nicht zu recognosciren ver-
mochte. Ein Conducteur des Burton-Zuges ver-
suchte, als er das Pfeifen des herrannahenden Zu-
ges hörte, den seinigen abzulassen, aber die Ver-
bindungsketten brachen und so blieb der größere
Theil der Wagen zurück. Er schrie zwar den Paffa-
 
Annotationen