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Heidelberger Familienblätter — 1874

DOI Kapitel:
No. 88 - No. 95 (4. November - 28. November)
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https://doi.org/10.11588/diglit.43704#0388

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— 380 —

auf das geſalbte Haupt drückte. Darüber wird ſich in
engliſchen Preſſe ein heftiger Streit erheben, denn, wie
wir bören, hat der Erzbiſchof Manning die Aechtheit des
Documentes angefochten. Die erſte Veröffentlichung dieſes
kirchlichen Documents, dem eine Beglaubigung ſeitens des
Biſchofs zu Raab und Herzogs zu Sachſen, Chriſtian
Auguſt, beiliegt, geſchah bereits im Jahre 1770. Vor
zwei Jahren erſchien im Verlage von Hermann Kaniz zu
Gera ein Abdruck jener denkwürdigen Handſchrift nebſt
der Angabe aller authentiſchen Quellen in Form einer
Broſchüre. Dies Abſchwörungs⸗Formular iſt gerade für
unſere Zeit ſo lehrreich, daß wir dle wichtigſten der 21
Paragraphen reproduciren.
Der edle Churfürſt von Sachſen ſchwur im § 2:
„Ich bekenne, daß, was der Papſt Neues geſtiftet hat, es
ſei in oder außer der Schrift, und was er anbefohlen,
Wahrhaftig, Göttlich und Selig ſei, welches der gemeine
Mann höher achten ſoll, als die Gebote des Lebendigen
Gottes.“
Im § 8. bekannte Friedrich Auguſt, „daß ein jeder
Prieſter viel größer ſei, als die Mutter Gottes Ma-
ria ſelbſt.“ ö
Im § 16 aber verlangt die Kirche zu Rom gar
folgendes Anerkenntniß von dem Geſalbten des Herrn.
„Ich bekenne, daß die heilige Jungfrau Maria eine Him-
mels⸗Königin ſey, und zugleich ſammt dem Sohne herrſche,
nach deren Belieben der Sohn alles thun muß“.
Im § 17 fährt der Mann zu ſchwören fort: „Ich
bekenne, daß die heilige Jungfrau Maria, beides, von
Engeln und Menſchen höhrr gehalten werden ſoll, als
Chriſtus, der Sohn Gottes ſelbſt.“
Da nun der Prieſter laut § 8 größer iſt, als die
Jungfrau Marigſo iſt er nach § 17 auch größer als der
Sohn Gottes ſelbſt. ö ö
Kozmian, Ledochowsky, Majunke, wie gefällt Euch
as? —
Der § 19 dieſes Glaubensbekenntniſſes ſetzt Allem,
was prieſterlicher Hochmuth und Fanatismus je von dem
Menſchen verlangen konnte, die Krone auf. Der zukünf-

tige König Polens mußte ſchwören: Ich bekenne, daß der

Römiſch⸗Katholiſche Glaube Unverfälſcht, Göttlich, Selig-
machend und Wahrhaftig, der lutheriſche aber, von wel-
chem ich gutwillig abaetreten, falſch, irrig, gottesläſterlich,
verflucht, ketzeriſch, ſchädlich, aufrühreriſch, gottlos, erſon-

nen und erdichtet ſei; weil derowegen die Römiſche Reli-

gion durchaus gut und heilſam; So verfluche ich alſo
Diejenigen, welche mir dieſe widerwärtige und gottloſe
Ketzerei unter beiderlei Geſtalt beigebracht; Ich verfluche
meine Eltern, die mich bei dem ketzeriſchen Glauben auf-
erzogen: Ich verfluche auch Diejenigen, welche mir den
Römiſch⸗Katholiſchen Glauben zweifelhaft und verdächtig
gemacht, gleichwie auch Die, welche mir den verfluchten
Kelch dargereicht, ja, ich verfluche mich ſelbſt und heiße
mich verflucht, weil ich dieſen verfluchten Ketzerkelchs, aus
dem mir zu trinken nicht geziemet, mich theilhaftig ge-
macht habe.
Ich verſpreche auch, daß, ſo lange ich einen Bluts-
tropfen in meinem Leibe habe, ich mein Kind nicht länger
mein Kind zu dieſer verfluchten Lehre halten werde u. ſ, w.
Auf alle dieſe Flüche und Schwüre nahm dann der
Churfürſt noch zur Bekräftigung das heilige Abendmahl
und ließ „ſein ſchriftliches Bekenntniß in das heilige
Kirchenbuch aufheben“. ö ö
Und dieſer Mann, der um einer Krone willen ſolch
einen Schwur leiſtete, heißt in der Geſchichte „Auguſt der
Starke.“ ö ö
Wir geſtehen gern, daß hundert andere Convertiten
auf demſelben Wege zu Kreuz krochen, allein, daß der
fürſtliche Renegat ſeine Ehre morden, ſeine Eltern ſchmä-

hen und verfluchen mußte, um dann ein Koͤnig zu ſein‚
bleibt immerhin ein denkwürdiges Beiſpiel in der Ge-

ſchichte.

Verſchiedenes.

Berlin, 18. Novbr. Die „Tribüne“ erzählt unter
der Ueberſchrift: „Eine Petition von Lasker“ folgendes
Hiſtörchen: Während man am vergangenen Sonnabend ſich
im Reichstage vor leeren Bänken über das Markenſchutz-
geſetz unterhielt, ging da draußen im Vorflur des Gebäu-
des eine kleine Scene vor ſich, die wir unſern Leſern nicht
verſchweigen dürfen. Trotz des Regenwetters hatte in dem
Hauptportal des Reichstagshauſes eine junge Dame in ele-
ganter Toilette ſich poſtirt und lange Zeit auf der Straße
gewartet; ihre Augen ſchauten rechts und links umher,“
und in ihren Zügen war deutlich zu leſen, daß ſie des

genſtandes ihrer Sehnſucht nicht habhaft werden konnte.

Aengſtlichen Schrittes ging die Dame alsdann in das
Portal, bebenden Herzens erreichte ſie das erſte Foyer.
Der vor dem Hofe aufgeſtellte Cerberus erkundigte ſich
nach dem Anliegen der Dame, welche nur ſchüchtern be-
merkte, das ſie den geſchätzten Abgeorneten für Meinigen,
Herrn Rechtsanwalt, Dr. Lasker en einer dringenden An-
gelegenheit zu ſprechen habe. Beflügelten Schrittes eilte
der Diener in den Saal um den genannteu Abgeordneten
an Ort und Stelle zu citiren. Nicht ohne Erſtaunen ſtand
derſelbe wenige Minuten ſpäter jener unbekannten Schö-
nen gegenüber, in welcher er eine wiedererſtandene Ma-
donna Murillo's zu erblicken wähnte. Nach einer gegen-
ſeitigen kurzen Begrüßung erzählte die junge Dame, daß
ſie die Tochter eines verſtorbenen Generals und nach dem
Tode ihrer Eltern in ein Kloſter gegangen ſei. Hier in
den engen Mauern, abgeſchloſſen von jeder Außenwelt,

hätte ihr der Aufenthalt gar nicht gefallen, und ſie ſei.

des beſchaulichen Lebens müde, geflohen, um hier in dieſer
ſchönen Welt irdiſchen Genüſſen wieder nachzugehen. Mit
rührendem Tone erzählte ſie Herrn Lasker, daß man ihr
im Kloſter ihr ererbtes Vermögen im Werthe von einigen
Hunderttauſend Thalern abgenommen habe und ſie das-
ſelbe ad majorem dei gloriam habe verſchreiben müſſen;
ſie ſtelle daher an den berühmten Parlamentsredner die
dringende Bitte, ihr ſeinen Rechtsſchutz zu gewähren und
ihr zu ihrem Vermögen zu verhelfen. Herr Lasker er-
ſuchte ſie, ihn mit näheren Informationen zu verſehen,
indem er nach genauerer Eruirung den Thatbeſtandes kei-
nen Anſtand nehmen würde, ſich ihrer Sache mit Wärme
und Hingebung anzunehmen. Ob die Anſprüche der
Dame begründet ſind, oder ob man es mit einer Aben-
teuerin zu thun hat, wird die Zukunft lehren.

Der Spruch vom goldenen Boden des Handwerks
ſcheint in Amerika noch immer ſich zu beſtätigen. Manche
Zuſchneider in den Vereinigten Staaten erhalten einen
eben ſo hohen Gehalt wie unſere Cabinets-Miniſter. Die
Herren Caſhland, Whikford u. Comp. in Neuyork zahlen
ihrem Zuſchneider, Herrn Henry Skiff, 7500 Doll. per
Jahr; der Zuſchneider Fitzpatrick bei Moorbrink in Cin-
cinnati erhält einen Gehalt von 10,000 Doll.; bei zwei
Häuſern in Pittsburg 3500 und 5000 Doll.; bei einer
St.⸗Louis⸗Firma 4000 Doll.; einem jetzt in Pittsburg
beſchäftigten Zuſchneider wurden jährlich 5000 Doll. an-
geboten, wenn er als Zuſchneider nach Chicago gehe, mit
Garantirung ſeiner Stelle auf fünf Jahre. Zahlreiche
andere Zuſchneider erhalten einen jährlichen Gehalt von
3000 Doll., während gewöhnliche Zuſchneider 15—4800
Doll. per Jahr verdienen. — Und dabei ſoll, wie das
engliſche Sprüchwort behauptet, ein Schneider nur den
neunten Theil eines ganzen Mannes ausmachen.

Druck und Verlag von Adolph Emmerling in Heidelberg, unter deſſen Verantwortlichkeit
 
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