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Hirschfelder, Dagmar
Tronie und Porträt in der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts — Berlin: Mann, 2008

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https://doi.org/10.11588/diglit.47555#0024

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20

Einleitung

studies in which the tronie [hier im Sinne von >Ge-
sicht<, >Kopf<] was extended with a half length figure
in fantasy costume, or portraits pure and simple.«43
Darüber hinaus stellen Selbstbildnisse laut de Vries
ein besonderes Problem bei der Unterscheidung von
Porträt und Tronie dar. Eine klare Trennung zwi-
schen phantasievoll kostümierten Einfigurenbildern,
für die Rembrandt sich selbst Modell stand, ohne
dabei aber Porträtabsichten zu verfolgen, und histo-
risierten Selbstbildnissen, die dem Selbstverständnis
des Meisters als Künstler Ausdruck verleihen, sei
nicht möglich.44 Nichtsdestoweniger sei der Begriff
>tronie< oder >Studie< zur Charakterisierung vieler
Selbstdarstellungen Rembrandts besser geeignet als
die Bezeichnung >Selbstporträt<.
Trotz der Feststellung von Abgrenzungsschwie-
rigkeiten unternimmt de Vries nicht den Versuch,
Kriterien zur Klassifizierung der von ihm genannten
Bildkategorien zu entwickeln, sondern beschränkt
sich auf den Hinweis, dass nur das Aufdecken der
Vorbilder, auf die sich die Bilder beziehen, Aufschluss
über ihren ursprünglichen Bestimmungszweck ge-
ben könne.45 Gleichzeitig betont er allerdings, dass
die ikonographischen und stilistischen Unterschiede,
die einfigurige Bilder des 16. Jahrhunderts noch auf-
weisen, im 17. Jahrhundert nivelliert wurden. Folgt
man also de Vries’ eigener Aussage, ist letztlich kaum
zu erwarten, dass die jeweilige Tradition, in der die
fraglichen Bilder stehen, eindeutig bestimmt werden
kann. Zudem bleibt unklar, ob nach Auffassung des
Autors überhaupt eine Grenze zwischen Tronien
und einfigurigen Genre- und Historienbildern des
17. Jahrhunderts gezogen werden sollte.
Ein wichtiges Verdienst des Beitrags besteht da-
rin, dass de Vries eine Reihe von Fragen aufwirft,
denen die vorangehende Forschung keine oder zu
wenig Aufmerksamkeit schenkte. Selbst wenn der
Autor verständlicherweise für viele Probleme keine
unmittelbare Lösung liefert, weist er doch auf die
Schwierigkeiten hm, die sich bei der Beurteilung
und Deutung niederländischer Einfigurenbilder des
17. Jahrhunderts ergeben. Darüber hinaus stellt er
bezüglich der Frage nach der Genese des Bildtyps

Tronie und den Gründen für seine Beliebtheit beim
zeitgenössischen Publikum wegweisende Thesen auf,
deren Überprüfung sich als lohnenswert erweist.
Ein zweiter Aufsatz, der sich dem Phänomen
Tronie zuwendet, erschien an abgelegenerer Stelle
im Jahr 1989, also kurz vor der Publikation von de
Vries’ Beitrag.46 Allerdings lag dem Autor, Frede-
ric Schwartz, das Manuskript des Vortrags vor, aus
dem de Vries’ Aufsatz hervorging.47 Hinsichtlich der
Frage nach der Entstehung des Bildtyps Tronie in
den Niederlanden stützt sich Schwartz auf de Vries’
Thesen. Als wesentliche Darstellungsabsicht der Bil-
der betrachtet er die Veranschaulichung innerer Ge-
mütszustände und/oder eines bestimmten Charak-
ters. Eine Tronie zeige »a single psychological state
or character type defined by the physiognomy in
Isolation.«48 Um diese Vermutung zu stützen, belegt
Schwartz anhand unterschiedlicher Beispiele, dass
die Vorstellung vom Gesicht als Ausdrucksträger
eine wichtige Rolle in der zeitgenössischen Affek-
tenlehre und Physiognomik spielte. Hierin liegt ein
interessanter Ansatz des Autors, der sich als frucht-
bar herausstellt, wenn auch die Argumentation im
Einzelnen nicht immer überzeugt.
Schwartz ist der Auffassung, es sei »usually not
difficult to distinguish a tronie from a portrait.«49
Zwar benennt der Autor einige wesentliche Diffe-
renzen, die zwischen dem Erscheinungsbild von Tro-
nien und demjenigen von Porträts bestehen können.
Auf die Schwierigkeiten, die sich bei der Unterschei-
dung der Bildgruppen ebenso ergeben, geht er jedoch
nicht ein.50 Wenig einleuchtend ist zudem Schwartz’
Versuch zu zeigen, dass der Blick der Dargestellten
bzw. die Art ihrer Beziehung zum Betrachter auf
Rembrandts frühen Amsterdamer Porträts auf die
Übernahme der Ausdrucksqualitäten seiner Tronien
zurückzuführen sei.51
Die in den achtziger Jahren erfolgte Auseinanderset-
zung der bisher genannten Autoren mit dem Phäno-
men Tronie führte dazu, dass sich die Klassifizierung
phantasievoll kostümierter Brustbilder anonymer
Modelle als Tronien in der Forschung sowohl für

43 Vries 1989, S. 193f.
44 Vries 1989, S. 194.
45 Vries 1989, S. 196.
46 Schwartz 1989.
47 Schwartz 1989, S. 93, Anm. 9.
48 Sci-iwartz 1989, S. 99.
49 Schwartz 1989, S. 95.

50 Im Appendix seines Beitrags, in dem Schwartz die zeitgenössische
Verwendung der Begriffe >tronie< und >konterfeitsel< behandelt,
weist der Autor allerdings in Anlehnung an de Vries auf die
Schwierigkeit hin, Selbstbildnisse und historisierte Porträts von
Tronien zu unterscheiden, Schwartz 1989, S. 114.
51 Schwartz 1989, S. 104-108.
 
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