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Hirschfelder, Dagmar
Tronie und Porträt in der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts — Berlin: Mann, 2008

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https://doi.org/10.11588/diglit.47555#0028

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24

Einleitung

beschreibt Tronien als »Bruststücke von [...] Phan-
tasiefiguren, die für einen Menschen des 17. Jahr-
hunderts bestimmte Konnotationen besessen haben
müssen (Frömmigkeit, Tapferkeit, Exotik, Jugend,
Alter, Vergänglichkeit etc.).«83 Sumowski bezeichnet
die Werke als »einfigurige Bedeutungsbilder mit reli-
giösem oder allegorischem Smn«84 oder literarischem
Inhalt. Allerdings gelingt es dem Autor in der Re-
gel nicht, für die vielen »Einzelfiguren in Phantasie-
tracht«85, die er in seinem Katalog verzeichnet, eine
entsprechende Bedeutung zu ermitteln. Auch Chris-
tian Tümpel geht davon aus, dass Rembrandts Tro-
nien als bestimmte biblische oder historische Figuren
intendiert waren, kann deren Identität jedoch in vielen
Fällen ebenso wenig entschlüsseln wie Sumowski den
Sinn der Einfigurenbilder von Rembrandts Schülern
oder Nachfolgern.86
Andere Autoren betrachten den Verzicht auf die
Festlegung einer Figur auf einen bestimmten ikono-
graphischen Gehalt als wesentliches Charakteristi-
kum des Bildtyps Tronie. So schreibt z. B. Jonathan
Bikker: »Tronies, by definition, cannot be identified
with biblical, mythological, historical or literary
figures.«87 Diese Annahme basiert auf de Vries’ Beur-
teilung von Tronien als Bilder »with hardly any ico-
nographic content.«88 Wie bereits erörtert, waren es
de Vries zufolge statt einer bestimmten inhaltlichen
Bedeutung die künstlerischen Qualitäten der Werke,
die sie in den Augen der Zeitgenossen zu begehrens-
werten Kunstobjekten machten.89 Eine vergleichbare
Auffassung vertritt auch Walter Liedtke: »One of the
few Constants in the production of tronies is their in-
tangible air of the Studio, of being essays meant to
be appreciated primarily for their artistry and imagi-
nation.«90 Thomas Döring vermutet in Anlehnung
an Frederic Schwartz, man habe Tronien nicht nur
als Demonstrationsstücke künstlerischer Virtuo-
sität geschätzt, sondern auch »als Schauplatz von

83 Wetering 1999/2000, S. 21.
84 Sumowski 1983-1994, Bd. 1, S. 135. Für die Zuweisung einer
diterarischen Bedeutung< an die Werke vgl. ebd., S. 134.
85 Vgl. z. B. Sumowski 1983-1994, Bd. 1, S. 197, 304, 527, Bd. 2,
S. 1030, Bd. 3, S. 1798.
86 Tümpel 1986, S. 187. Vgl. auch ders. 1971, S. 32f.; ders. 1999,
S. 32.
87 Bikker 2005, S. 29. Vgl. auch Kat. Amsterdam / San Francisco
/ Hartford 2002, Kat. Nr. XXII, S. 142.
88 Vries 1989, S. 191. Vgl. Bikker 2005, S. 31 m. Anm. 164,
S. 177. Bereits Bauch 1960, S. 177, betont mit Blick auf

Gemütsbewegungen, als physiognomischen Spiegel
von Charakter, Temperament und fiktiver Lebensge-
schichte betrachtet.«91
Natürlich ist denkbar, dass mehrere der genannten
Aspekte bei der zeitgenössischen Rezeption einer Tro-
nie ineinander griffen. Anzunehmen ist zudem, dass
verschiedene Typen von Tronien auf unterschiedliche
Weise gedeutet wurden. Die Antwort auf die Frage
nach der Bedeutung von Tronien hängt allerdings
wesentlich davon ab, welche Bilder man überhaupt
zu dieser Werkkategorie zählt. Wie wir gesehen ha-
ben, werden in der Forschung die unterschiedlichsten
Bilder als Tronien diskutiert. Bisher ist jedoch nicht
geklärt, welche Kriterien maßgeblich sind, um ein
Einfigurenbild der niederländischen Malerei des 17.
Jahrhunderts dem Bildtyp der Tronie zuzuordnen.
Damit ist offen, welche Formen Tronien annehmen
konnten, welche Funktionen die Werke erfüllten und
in welchem Beziehungsverhältnis sie zu den Gemäl-
degattungen Porträt, Historie und Genre standen.
Im Gegensatz zu der vergleichsweise überschaubaren
Forschungsliteratur, die sich explizit mit Tronien
beschäftigt, existiert eine Fülle von Publikationen,
die sich mit der holländischen Porträtmalerei des 17.
Jahrhunderts auseinandersetzen.92 Eine übergreifende
Untersuchung, welche die in den Nördlichen Nie-
derlanden verbreiteten Formen und Typen der Bild-
gattung sowie die mit ihr befassten Künstler vorstel-
len würde, fehlt allerdings bis heute.
Gesamtdarstellungen zur niederländischen Ma-
lerei widmen der Gattung Porträt in der Regel ei-
nen allgemeinen Überblick.93 Vor allem aber ist eine
Vielzahl von Ausstellungskatalogen, Sammelbän-
den und Einzeluntersuchungen erschienen, die sich
Bildnissen verschiedener Meister oder bestimmter
Künstlergruppen, Städte oder Auftraggeber sowie
ikonographischen und theoretischen Fragen zur

Rembrandts Tronien von Greisen, dass das »alte Antlitz selbst
[... ] genügend >Inhalt<« berge, um von Rembrandt »zu einem
Thema der Kunst« gemacht zu werden.
89 Vgl. auch Raupp 1995b, S. 14.
90 Liedtke 2000, S. 242.
91 Döring 1993/94, S. 24.
92 Vgl. hierzu auch Kap. II.2.2-2.5. Für einen allgemeinen
Forschungsüberblick vgl. Ekkart 1989.
93 Vgl. Haak 1984, S. 98-114; Briels 1987, S. 28-51; Slive 1995,
S. 246-261; Briels 1997, S. 31-49. Vgl. auch Bauch 1960, S.
38-44.
 
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