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Hirschfelder, Dagmar
Tronie und Porträt in der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts — Berlin: Mann, 2008

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https://doi.org/10.11588/diglit.47555#0098

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86

Der Bildbefund der 1620er und frühen 30er Jahr<

gewinnen die Unterschiede zwischen der männlichen
und weiblichen Figur ihren Aussagewert. Gleichzei-
tig werden die Ehepaarbildnisse formal aufeinander
bezogen und bilden in der Regel eine kompositio-
nelle Einheit, in der sich die Zusammengehörigkeit
der Partner und ihre Identifizierung mit der Institu-
tion der Ehe ausdrücken.35 36
Die Anwendung des Codes, also der zielgerichte-
te Einsatz des formalen und symbolischen Vokabu-
lars, das dem Maler zur Verfügung stand, folgte im
Normalfall den Regeln des decorum.ib Diesen gemäß
musste jede Figur eines Bildes in einer Weise darge-
stellt werden, die ihrem Alter, Geschlecht, Charakter,
Stand und ihrer Bedeutung, aber auch dem jeweiligen
Handlungs- bzw. Bildzusammenhang angemessen
war. Eine solche Darstellungsweise schloss alle Mo-
tive des Codes - von der Kleidung über Bewegung,
Gestik, Haltung und Gesichtsausdruck bis hin zu
den Attributen einer Figur - ein und war abhängig
von den jeweils aktuellen Modeströmungen und ge-
sellschaftlichen Wertvorstellungen, die sich im Lauf
der Zeit wandeln konnten. Um dem decorum gerecht
zu werden, stand dem Maler eine Vielzahl verschie-
dener Motive des Codes zur Verfügung. Er konnte
sich z.B. dafür entscheiden, einen männlichen Auf-
traggeber mit in die Hüfte gestütztem Arm [Kat.
356, Taf. 77] oder auch mit im Redegestus erhobener
Hand darzustellen [Kat. 209], Das decorum schrieb
für die Porträtsituation eine würdige Haltung vor. Im
Rahmen dessen konnte die genaue Position des Kör-
pers, der Arme und Hände jedoch dem Code folgend
variiert und der Dargestellte auf diese Weise seinen
Wünschen entsprechend charakterisiert werden.
Code und decorum stimmten nicht zwangsläufig
überein. Autoren wie Jacob Cats oder Constantijn
Huygens kritisieren z.B. die Angewohnheit ihrer
Zeitgenossen, Kleidung zu wählen, deren Kostbar-
keit dem Stand der jeweiligen Person nicht angemes-
sen sei.37 Der pietistische Prediger Willem Teellinck
beklagt zudem, dass im Alltag häufig Kleidung ge-
tragen werde, die nur für Festtage gedacht sei.38 Eine

übertrieben reiche Ausstaffierung der Dargestellten
auf Porträts gehörte durchaus zu den Motiven des
Codes, war jedoch mit den Regeln des decorum
streng genommen nicht vereinbar.
Eddy de Jongh zufolge verlangte die Wahrung des
decorum im Bildnis eine aufrechte, würdevolle Haltung
des Porträtierten, eine damit übereinstimmende Ges-
tik, die Präsentation des Dargestellten in angemessener
Kleidung und einen ernsten, beherrschten Gesichtsaus-
druck.39 Im Folgenden wird zu prüfen sein, inwiefern
diese Regeln von den zwischen 1615 und 1633 aktiven
Porträtmalern tatsächlich eingehalten wurden und in
welcher Weise die Künstler die Motive des Codes
einsetzten. Bei der Analyse des Erscheinungsbildes
der Porträts ist neben dem Darstellungsgegenstand
als solchem auch der Einsatz der künstlerischen Mit-
tel und dabei insbesondere die spezifische Malweise
der Bildnisse zu berücksichtigen.
2.3 Überblick zu den im Untersuchungs-
zeitraum tätigen Porträtmalern
Bei der Behandlung der zwischen ca. 1615 und 1633
in den Nördlichen Niederlanden entstandenen Bild-
nisse stellt sich das Problem, dass jüngere Monogra-
phien mit CEuvreverzeichnis und entsprechendem
Abbildungsapparat zu vielen der führenden Porträt-
maler, z.B. Cornelis van der Voort, Michiel van Mie-
reveld, Jan Anthonisz. van Ravesteyn und Nicolaes
Eliasz., fehlen. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit,
auf Bestandskataloge und verstreut publiziertes Bild-
material zurückzugreifen.40 Unverzichtbar für die Be-
urteilung des GEuvres der genannten sowie weiterer
im Untersuchungszeitraum tätiger Porträtmaler war
darüber hinaus die Sichtung des im Rijksbureau voor
Kunsthistorische Dokumentatie (RKD) in Den Haag
aufbewahrten Bildmaterials.41 Zwar ergeben sich bei
vielen Porträts, die wahrscheinlich in der fraglichen
Periode geschaffen wurden, Zuschreibungs- und
Datierungsprobleme. Diese Werke sind für die Ana-

35 Vgl. Smith 1982, S. 40f.; Raupp 1995b, S. 4.
36 Zu Begriff und Theorie des decorum vgl. u.a. Lee 1940, S.
228-235; Raupp 1984, S. 130-133; Gombrich 1986, S. 18-23;
Mander / Miedema 1973, Bd. 2, S. 447f.; Mai 1987/88, S. 19,
20-25; Ames-Lewis / Bednarek 1992; Gaehtgens / Fleckner
1996, S. 82, 91, 113 u. passim; R.W. Gaston in DA 1996, Bd. 8,
S. 612-614, dort auch weitere Literatur.
37 Jongh 1986, S. 18.
38 Teellinck 1620, S. 25-28.
39 Vgl. Jongh 1986, S. 15, 18.

40 Ausgewertet wurden neben den im Literaturverzeichnis auf-
geführten Ausstellungskatalogen ca. 70 Bestandskataloge der
bedeutenderen europäischen und nordamerikanischen Samm-
lungen. Es wurde darauf verzichtet, diese bibliographisch
nachzuweisen, sofern sie nicht an anderer Stelle in dieser Ar-
beit zitiert werden.
41 Es wurden alle im RKD dokumentierten Bildnisse der im
Untersuchungszeitraum tätigen Maler gesichtet und ausge-
wertet.
 
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