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Hirschfelder, Dagmar
Tronie und Porträt in der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts — Berlin: Mann, 2008

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https://doi.org/10.11588/diglit.47555#0113

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Möglichkeiten der Unterscheidung von Porträt und Tronie

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träts dienen kann. Im Unterschied zu den Brustbildern
von Rembrandt und Lievens entspricht die Kleidung
von Hals’ Tronien, insbesondere der Kinderköpfe, in
einigen Fällen durchaus der zeitgenössischen Mode.
Der Lachende Junge in Den Haag (Mauritshuis)
[Kat. 203, Taf. VI] trägt einen Spitzenkragen, bei den
Schweriner Tronien sind auch Manschetten und Wams
noch sichtbar [Kat. 213-214, Taf. 45].6 Doch unter-
scheidet sich das Kostüm dieser Figuren durch die
oben beschriebene Art der skizzenhaft-summarischen
Ausführung sehr deutlich von der Darstellung der
Tracht auf allen anderen im Untersuchungszeitraum
entstandenen Porträts, die Bildnisse von Hals selbst
eingeschlossen/ In der Demonstration einer beson-
ders freien bzw. individualisierten Malweise bestand
offensichtlich eine wesentliche Darstellungsabsicht
vieler Tronien. Die Frage nach der Art der Ausfüh-
rung eines Bildes spielt damit eine zentrale Rolle bei
der Abgrenzung von Porträt und Tronie und wird
weiter unten aufzugreifen sein.
Es ist festzuhalten, dass viele Tronien sich allein
aufgrund ihrer Kleidung, sei sie zeitgenössisch oder
phantasievoll, nicht von der Gattung Porträt abgren-
zen lassen, sofern nicht weitere Aspekte hinzutreten,
die eine Unterscheidung ermöglichen. Diese betref-
fen all jene Elemente, die bei der Gestaltung einer
Einzelfigur von Bedeutung sind und bereits im Zu-
sammenhang mit der Porträtmalerei behandelt wur-
den: Haltung, Gestik, Mimik und Blickrichtung der
Figur, aber auch Perspektive, Lichtführung, Farbauf-
trag und Pinselduktus. Die Behandlung jedes dieser
Motive kann sich bei Tronien fundamental von der
für Bildnisse konstitutiven und durch den Code fest-
geschriebenen Gestaltungsweise unterscheiden. Da-
bei spielen häufig mehrere mit dem Code der Por-
trätmalerei nicht vereinbare Aspekte ineinander, die
nicht immer klar voneinander zu trennen sind.
Im Gegensatz zu den Personen auf Porträts neh-
men die auf den Tronien der behandelten Periode
dargestellten Figuren häufig keinen Kontakt zum
Betrachter auf. Wie Rembrandts Bärtiger alter Mann
mit Kappe (Kingston, Agnes Etherington Art Cent-
re, Queen’s University) [Kat. 395, Taf. V], seine Be-
tende alte Frau (Salzburg, Tiroler Landesmuseum)
[Kat. 393, Taf. I] oder Lievens’ Bärtiger alter Mann


Abb. 15 Jan Lievens, Alte Frau mit bordiertem Schleier ^Rem-
brandts Mutter<\ Burghley House Collection [Kat. 295]

in Schwerin (Staatliches Museum) [Kat. 303, Taf. 63]
wirken sie vielfach in sich gekehrt und in Gedanken
vertieft. Sie neigen den Kopf leicht nach vorne, rich-
ten den Blick dabei nach unten bzw. schauen verson-
nen vor sich hin oder haben die Augen geschlossen
- Arten der Präsentation, die in der gleichzeitigen
Porträtmalerei nicht denkbar wären. Die halb- oder
ganz geschlossenen Lider bewirken, dass die Au-
gen der Figuren nicht deutlich erkennbar sind. Dies
wurde bei Bildnissen unter allen Umständen vermie-
den. Genauso wenig wie em gesenkter Blick kommt
daher bei Porträts eine flüchtige bzw. summarische
Angabe der Augenpartie vor, wie sie Lievens’ Tronie
einer Alten Frau mit bordiertem Schleier ^Rem-
brandts Mutter<) in der Burghley House Collection
[Kat. 295, Abb. 15] aufweist. Wie wir gesehen haben,
können die Dargestellten auf Porträts zwar durchaus

6 Bei Lievens kommen Tronien in zeitgenössischer Tracht
in seinen druckgraphischen Tronie-Serien vor. Vgl. z.B.
Hollstein’s Dutch and Flemish Etchings 1949ff., Bd. 11
(o.J.), Kat. Nr. 33, 34 [vgl. Kat. 323, Taf. 69], S. 32f.

7 Vgl. Atkins 2003, S. 301. Vgl. auch oben, Kap. II.1.7, S. 73f.
Kap. II.2.4, S. 92f. sowie unten S. 104f.
 
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