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Hirschfelder, Dagmar
Tronie und Porträt in der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts — Berlin: Mann, 2008

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https://doi.org/10.11588/diglit.47555#0116

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104

Der Bildbefund der 1620er und frühen 30er Jahre

Als weiteres Kriterium für die Abgrenzung von
Porträt und Tronie ist die maltechnische Ausführung
eines Bildes zu nennen. Der Bildtyp der Tronie gestat-
tete ganz offensichtlich einen wesentlich freieren Um-
gang mit der Farbe als die gleichzeitige Porträtmalerei
und war damit in besonderer Weise dazu geeignet, die
persönliche Handschrift eines Malers zur Anschau-
ung zu bringen. Es wurde bereits auf die Variations-
breite hingewiesen, die Rembrandts frühe Tronien
in maltechnischer Hinsicht auszeichnet.19 Aber auch
innerhalb eines einzigen Bildes lotete der Künstler un-
terschiedliche Möglichkeiten des Farbauftrags aus. In
seinem Alten Mann mit Pelzmütze in Innsbruck (Ti-
roler Landesmuseum) [Kat. 394, Taf. V] beispielsweise
kontrastiert das in deckender Farbe ausgeführte Ge-
sicht des Greises mit den transparenteren und locker
ausgeführten Partien des Kostüms.20 Eine gegenüber
der Modellierung des Gesichts freiere, summarische
oder sogar skizzenhafte Wiedergabe der Kleidung fin-
det sich auch wiederholt in Lievens’ Tronien, wie oben
bereits ausgeführt wurde [Kat. 305, Taf. 64, Kat. 306,
Taf. 65].21 Auf den Bildnissen der behandelten Perio-
de wird der Tracht der Porträtierten bedeutend mehr
Aufmerksamkeit geschenkt und Wert auf die sorg-
fältige Wiedergabe der Details und unterschiedlichen
Stoffqualitäten sowie häufig auch eine glatte Malweise
gelegt. In dieser Hinsicht gehorchten Tronien offen-
sichtlich völlig anderen Darstellungsprinzipien.
Noch deutlicher wird der Unterschied in der Mal-
weise, wenn auch das Gesicht einer Tronie in besonders
lockerer bzw. rauer Manier ausgeführt ist. Dies ist bei
allen Tronien von Frans Hals der Fall, aber auch bei
wichtigen Beispielen von Rembrandt und Lievens. Da
ihre Gestaltungsweise bereits in Kapitel II. 1.1 behandelt
wurde, genügt hier der Verweis auf Werke wie Lievens’
Kopf eines bärtigen Mannes im Profil aus Turin (Pri-
vatbesitz) [Kat. 279, Taf. II] oder Rembrandts Bärtiger
alter Mann mit Kappe (Kingston, Agnes Etherington
Art Centre, Queens University) [Kat. 395, Taf. V].

Es wurde beobachtet, dass sich Hals’ Porträts in
zeitgenössischer Kleidung gegenüber den Bildnissen
anderer Maler durch eine ungewöhnlich freie Farbbe-
handlung auszeichnen. Nichtsdestoweniger besteht
jedoch ein deutlicher Unterschied gegenüber der
Ausführung seiner Tronien. Eine so raue, assoziative
Malweise, wie sie beispielsweise der Lachende Junge
in Den Haag [Kat. 203, Taf. VI] zeigt, ist bei keinem
der Porträts, die Hals bis zum Beginn der dreißiger
Jahre malte, zu verzeichnen.22 Eine Ausnahme ergäbe
sich allenfalls dann, wenn man ein Bild wie Hals’
zeitgenössisch gekleideten Fröhlichen Trinker (Ams-
terdam, Rijksmuseum) [Kat. 215, Taf. 45] als Porträt
klassifizieren würde. Obwohl die Malweise des Bil-
des mit der Ausführung von Hals’ Tronien und seinen
einfigurigen Genrebildern vergleichbar ist und auch
Gestik und Mimik der Figur nicht den verbindlichen
Darstellungsnormen der gleichzeitigen Porträtma-
lerei entsprechen, glaubt Slive, es könne sich um ein
Bildnis handeln. Als Begründung gibt der Autor an,
dass »some of the portrayals of drinkers in his [Hals’]
two group banquet pieces of Haarlem’s civic guards of
1627 are equally unconventional.«23 Da großformatige
Gruppenporträts nicht denselben Regeln folgen wie
einfigurige Bildnisse, so z.B. in wesentlich stärkerem
Maße auf Fernsicht hin angelegt sind, ist dieser Ver-
gleich jedoch nicht adäquat. Zudem kommen gerade
auf Darstellungen von (Haarlemer) Schützenmahl-
zeiten Aktivitäten und Interaktionen der Figuren vor,
die als ritualisierte Handlungen eines Freundschafts-
mahles zu verstehen sind und auf Konventionen
und decorum von Einzelbildnissen keine Rücksicht
nehmen.24 Bei dem als isolierte Einzelfigur erschei-
nenden Fröhlichen Trinker fehlt ein entsprechender
Kontext, so dass das Bild m.E. nicht als Porträt ein-
zustufen ist.25
Festzuhalten ist, dass das Maß an bewusster De-
monstration individueller Handschrift in Hals’ Tro-
nien nicht mit den in den zwanziger Jahren für Ein-

19 Vgl. oben, Kap. II.1.1, S. 42.
20 Vgl. RRP 1982-2005, Bd. 1, Kat. Nr. A29, S. 285, 289; Kat.
Berlin / Amsterdam / London 1991/92a, Kat. Nr. 7, S. 142.
21 Vgl. oben, Kap. II.1.1, S. 41.
22 Vgl. Kat. Den Haag 2004a, Kat. Nr. 24, S. 113.
23 Slive in Kat. Washington / London / Haarlem 1989/90, Kat.
Nr. 30, S. 215. Als einfigurige Vergleichsbeispiele nennt Slive
1970/74, Bd. 3, Kat. Nr. 63, S. 38f., allerdings ausschließlich
Tronien bzw. Genrebilder.
24 Vgl. bereits Cornelis Cornelisz. van Haarlems Schützenstück
von 1583 (Haarlem, Frans Hals Museum, Thiel 1999, Kat.

Nr. 242, S. 386-389, Pl. 2) sowie Frans Hals’ Bankett der Of-
fiziere der St.-Adriaens-Schützengilde (Haarlem, Frans Hals
Museum, Slive 1970/74, Bd. 2, Pl. 78, Bd. 3, Kat. Nr. 45, S.
27-29). Für weitere Beispiele sowie allgemein zum Porträt-
typus des Schützenmahles vgl. Kat. Haarlem 1988, Kat. Nr.
186-188, S. 366-371; Levy-van Halm 1988, S. 112-114.
25 Die Übertragung typischer Gestaltungsmerkmale von Tro-
nien und Genrebildern auf einfigurige Auftragsporträts lässt
sich im Werk des Frans Hals erst zu einem späteren Zeitpunkt
beobachten, vgl. unten, Kap. IV.2.1, S. 265-267.
 
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