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Hirschfelder, Dagmar
Tronie und Porträt in der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts — Berlin: Mann, 2008

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https://doi.org/10.11588/diglit.47555#0117

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Möglichkeiten der Unterscheidung von Porträt und Tronie

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zelbildnisse geltenden Darstellungskonventionen zu
vereinbaren ist. Dies gilt ebenso für die >Zigeunerin<
in Paris (Louvre) [Kat. 217, Taf. 46], die sich auch
aus diesem Grund als Tronie ohne jegliche Bildnis-
absicht erweist.26
Verglichen mit anderen Porträtmalern, die in
den zwanziger Jahren tätig waren, lehrt das Beispiel
von Hals, dass der Grad der freien Ausführung von
Porträts je nach Künstler variieren konnte. Um also
zu bestimmen, ob sich eine Tronie hinsichtlich ih-
rer Malweise von Porträts unterscheidet, ist stets zu
berücksichtigen, in welchem Verhältnis die Art ih-
rer Vortragsweise zu derjenigen der Bildnisse ihres
Schöpfers steht.
Ein letztes Unterscheidungskriterium, das wie die
freie Malweise von Tronien gradueller Natur ist, be-
trifft das Maß veristischer oder besser ungeschönter
Darstellung. Während die untersuchten Porträts
die Dargestellten meist von ihrer besten Seite zei-
gen, werden in Tronien hässliche Züge der Modelle
nicht kaschiert, sondern mitunter sogar besonders
betont. Jeder Porträtmaler hätte es vermieden, den
zahnlosen, eingefallenen Mund einer alten Frau of-
fenstehend darzustellen, wie Rembrandt dies in sei-
ner Betenden alten Frau in Salzburg [Kat. 393, Taf.
I] vorführt. Auch Lievens geht mit seinen Modellen
in vielen Fällen schonungslos um, wie etwa der Bär-
tige alte Mann mit Mütze in Boston (Peck Collec-
tion) [Kat. 305, Taf. 64] mit seinen herabhängenden,
geröteten Augenlidern und dem schielenden Blick
verdeutlicht. Für Hals kann auf die wenig schmei-
chelhafte Darstellung des Leipziger Peeckelhaering
[Kat. 219, Taf. 47] verwiesen werden.
Anhand des Vergleichs mit der Porträtmalerei
konnte eine Reihe typischer Merkmale von Tronien
ermittelt werden, die ihre eindeutige Unterscheidung
von Bildnissen ermöglichen. Dabei lässt sich meist
ein Zusammenfallen mehrerer der betreffenden Ei-
genschaften in einer Tronie feststellen: Rembrandts
Lachender Soldat in Den Haag [Kat. 392, Taf. V]
z.B. vereint eine wenig repräsentative Phantasie-

26 Vgl. oben, Kap. II.1.7, S. 76. Die Bezeichnung der >'Zigeu-
nerin< als »Genreporträt« bei Grimm 1972, S. 76, sowie die
Anwendung des Begriffs auf Hals’ einfigurige Genrebilder
im Allgemeinen bei SiTT 2003/04, ist insofern irreführend, als
in der Forschung auch Werke als »Genreporträts« bezeich-

tracht, forcierte Lichtführung, ausgesprochen freie
Malweise, ungezügelte Affektartikulation und ein
ungepflegtes Außeres. Je mehr für Tronien typische
Merkmale auf ein Bild zutreffen, desto leichter fällt
die Unterscheidung von der Gattung Porträt. Tro-
nien lassen sich anhand formaler Merkmale gerade
dann von Bildnissen abgrenzen, wenn ihre Darstel-
lungsweise deutlich vom Code der Porträtmalerei,
der stets auf die repräsentative Inszenierung einer
Person abzielte, abweicht. Diese Abweichung ergibt
sich daraus, dass es bei der Schöpfung von Tronien
offensichtlich darauf ankam, möglichst interessante
Figurentypen mit charakteristischen Physiognomien
zu zeigen und gleichzeitig die ästhetischen Quali-
täten der Bilder und damit die Fähigkeiten zur Gel-
tung zu bringen, die der jeweilige Künstler bezüglich
des virtuosen Umgangs mit den künstlerischen Mit-
teln besaß.
Bei der Abgrenzung von Porträt und Tronie ist zu
berücksichtigen, dass sich die Konventionen der Por-
trätmalerei im Laufe der Zeit aufgrund stilistischer,
modischer oder gesellschaftlich bedingter Wand-
lungen änderten.27 In den dreißiger Jahren können
Einzelbildnisse z.B. wesentlich ausgeprägtere Bewe-
gungsmotive aufweisen, als dies noch in den zwan-
ziger Jahren üblich war: Eine Haltung wie sie der im
Aufstehen begriffene Mann auf Rembrandts Porträt
eines Mannes in Cincinnati (Taft Museum) [Kat.
413] von 1633 zeigt, kommt in den zwanziger Jahren
z.B. noch nicht vor. Starke Veränderungen ergeben
sich auch hinsichtlich des Grades der freien Ausfüh-
rung konventioneller Porträts. So etablierte sich im
Werk Rembrandts und Hals’ spätestens in den fünf-
ziger Jahren eine äußerst raue mit der Ausführung
mancher Tronien der zwanziger Jahre vergleichbare
Malweise als Gestaltungsmittel für Porträts in zeit-
genössischer Tracht.28 Dies bedeutet für die weitere
Untersuchung, dass bei der Abgrenzung von Tronien
gegenüber Porträts stets der Entwicklungsstand der
gleichzeitigen Porträtmalerei, d.h. die jeweils aktu-
ellen Vorgaben des Codes, beachtet werden müssen.

net werden, die mit Bildnisabsicht geschaffen wurden, den
Auftraggeber aber bei einer bestimmten Beschäftigung, etwa
im häuslichen Umfeld, zeigen, vgl. Adams 1985, S. 215-226.
27 Raupp 1995b, S. 4. Vgl. auch Smith 1982, S. 111-113.
28 Vgl. unten, Kap. 1II.1.2, S. 126f., Kap. IV.2.1, S. 266.
 
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