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Hirschfelder, Dagmar
Tronie und Porträt in der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts — Berlin: Mann, 2008

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https://doi.org/10.11588/diglit.47555#0119

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Möglichkeiten der Unterscheidung von Porträt und Tronie

107

nahen Angehörigen - mit der Darstellung des Alten
verbanden. Ebenso abwegig wäre es, dies für andere,
von den Malern wiederholt als Modelle verwandte
Personen anzunehmen, die als Vorbilder für Tronien
dienten.
Für Lievens’ Potsdamer Orientalen lässt sich
nicht nur aufgrund des Modells, sondern auch an-
hand einer schriftlichen Quelle belegen, dass das
Gemälde von den Zeitgenossen nicht als Bildnis
betrachtet wurde. In der oben bereits erwähnten
Beschreibung des Werkes durch Constantijn Huy-
gens heißt es: »Es befindet sich bei meinem Prinzen
das >Bildnis< [effigies] eines so genannten türkischen
Feldherrn, das nach dem Kopf irgendeines Hollän-
ders dargestellt ist.«33 Hieraus geht klar hervor, dass
das Gemälde weder als Porträt einer realen Person
aus dem Orient, etwa eines reichen orientalischen
Kaufmanns, Botschafters oder gar Herrschers,34
noch als Porträt eines bestimmten holländischen
Bürgers in orientalischer Verkleidung anzusehen
ist.
In den Inventaren des 17. Jahrhunderts findet sich
eine Reihe von Hinweisen auf Darstellungen von Tür-
ken bzw. Orientalen. Die wiederholte Verwendung
anonymisierter Bezeichnungen wie »een Turx tro-
nie«35, »een Orient tronij«36 oder »een Turck«37 ohne
namentliche Nennung der dargestellten Person oder
wenigstens den Zusatz >conterfeytsel< spricht dafür,
dass die Identität der Dargestellten für die Bildaussa-

ge in der Regel keine Rolle spielte.38 Die Verbindung
von Inventareinträgen oder anderen schriftlichen
Erwähnungen von Tronien mit erhaltenen Bildern
gelingt allerdings nur in ausgesprochen seltenen Fäl-
len.39 Dies gilt nicht nur für die in den zwanziger
und frühen dreißiger Jahren gemalten Tronien, son-
dern in noch höherem Maße für Werke aus späteren
Jahrzehnten. Auch existieren in der zeitgenössischen
Kunstliteratur keinerlei theoretische Erörterungen
zum Bildtyp der Tronie. Der Nutzen schriftlicher
Quellen zur Unterscheidung von Porträt und Tronie
ist somit stark beschränkt.
Von größerer Bedeutung ist dagegen der >Entste-
hungskontext< der zur Diskussion stehenden Werke,
sofern dieser ein enges Abhängigkeitsverhältnis zu
bestimmten anderen Bildern beinhaltet. Wenn em
Künstler z.B. einen Kopf oder eine Büste schuf, um
bestimmte Effekte zu studieren, die er anschließend
für größere Kompositionen der Historien- oder
Genremalerei nutzbar machte, ist davon auszugehen,
dass das entsprechende Bild kein Porträt ist.40 Noch
eindeutiger ist dies, wenn eine Tronie insgesamt in
eine Historie oder ein Genrebild übernommen wur-
de, also der unmittelbaren Werkvorbereitung diente,
wie es im Werk flämischer Künstler häufig beobach-
tet werden kann.41 Im Werk der Schüler oder Nach-
folger Rembrandts kommt in den zwanziger und
vierziger Jahren der umgekehrte Fall vor: Figuren
aus Rembrandts Historien wurden von den Malern

33 Für die Übersetzung vgl. Kat. Braunschweig 1979, S. 33;
Schwartz 1987, S. 74; Kat. Berlin / Amsterdam / London
1991/92a, S. 148. Das lat. Originalzitat bei Schneider / Ek-
kart 1973, S. 291. Vgl. auch oben, Kap. II.1.4, S. 51 m. Anm.
100.
34 Zur Anwesenheit von Personen aus dem Orient in den
Nördlichen Niederlanden vgl. Perry 1980, S. 40-70; Slatkes
1983, S. 40; sowie unten, Kap. III.3.2, S. 210 m. Anm. 75.
35 GPI 1994-2003, N-2176, Nr. 0032 (Inv. Lambert Hermansz.
Blaeuw, Amsterdam 15.5.1648). In den Getty Provenance In-
dex Online Databases sind für das 17. Jahrhundert eine Reihe
weiterer so oder ähnlich benannter Figuren verzeichnet: GPI
1994-2003, N-101, Nr. 0046, N-1562, Nr. 0022a, N-1673, Nr.
0009, N-2071, Nr. 0128, 0138, N-2072, Nr. 0003, N-2213,
Nr. 0348, N-2223, Nr. 0024, N-2250, Nr. 0025, N-2349, Nr.
0014, N-2351, Nr. 0019, N-2362, Nr. 0020, N-4263, Nr.
0023, N-4316, Nr. 0021, N-4777, Nr. 0005.
36 Biesboer 2001, Dok. 42, Nr. 16, S. 155 (Inv. Adriaen Crom-
melingh, Haarlem 4.2.1662).

37 GPI 1994-2003, N-106, Nr. 0015 (Inv. Marcus Brocn, Ams-
terdam 6.12.1681).
38 Vgl. oben, Kap. 1.4.
39 Vgl. z.B. die Bezeichnung des Lächelnden Mädchens mit.
blonden Haaren (Leipzig, Museum der bildenden Künste)
[Kat. 285, Taf. 60] und eines mit dem Brustbild einer al-
ten Frau mit brokatbesticktem Kopftuch (Windsor Castle,
Sammlung Ihrer Majestät Königin Elisabeth II.) [Kat. 294,
Taf. 62] vergleichbaren Gemäldes im Testament Jacques de
Gheyns III. als Tronien, GPI 1994-2003, N-1677, Nr. 0005,
0011 (Testament Jacques de Gheyn III., Utrecht 7.3.1641),
vgl. auch Regteren Altena 1936, S. 129. Vgl. hierzu oben,
Kap. 1.4, S. 31f. Hätte es sich bei den Bildern um Porträts
mit Memorialfunktion gehandelt, wäre de Gheyn, der mit
Huygens, Rembrandt und Lievens bekannt war (Schwartz
1987, S. 91-97, bes. S. 94), über die Identität der Dargestell-
ten sicher im Bilde gewesen und hätte dies entsprechend ver-
merkt.
40 Vgl. oben, Kap. II.1.5.
41 Vgl. oben, Kap. II. 1.6.
 
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