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Hirschfelder, Dagmar
Tronie und Porträt in der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts — Berlin: Mann, 2008

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https://doi.org/10.11588/diglit.47555#0133

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Die Entwicklung nach 1630

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geführte Pinselstriche in dünnflüssiger schwarzer
Farbe lassen die braune Untermalung stark durch-
scheinen.26 Interessant ist in diesem Zusammenhang
auch der ebenfalls in Washington (National Gallery
of Art) aufbewahrte Orientale [Kat. 418],27 dessen
Gewand und Hände Rembrandt offenbar unvoll-
endet ließ, so dass die Untermalung der entspre-
chenden Partien offen liegt. Der Schulterbereich lässt
allerdings darauf schließen, dass der Orientale selbst
in vollendetem Zustand eine vergleichbar spontane
Malweise in den Gewandpartien gezeigt haben dürf-
te wie der >Russe<.28 Nicht auszuschließen ist m.E.,
dass Rembrandt den Kontrast zwischen detailgenau
wiedergegebenen und unvollendet wirkenden Par-
tien bewusst ins Kalkül zog und das Bild als Zeichen
seiner Freiheit und Autonomie als Künstler absicht-
lich nicht fertig stellte.29
Auch die Kostüme der in den dreißiger Jahren
geschaffenen weiblichen Figuren in Phantasietracht
sind in der Regel weniger sorgfältig ausgeführt als
die detailliert wiedergegebenen Kleidungsstücke der
in den dreißiger und vierziger Jahren von Rembrandt
porträtierten Frauen in zeitgenössischer Tracht. Ge-
genüber deren präzise dargestellten Spitzenkrägen
ist das gefältelte weiße Hemd am Halsausschnitt von
Figuren wie Rembrandts weiblichen Büsten in Bue-
nos Aires (Privatbesitz) [Kat. 410, Taf. 87] und Ams-
terdam (Rijksmuseum) [Kat. 419, XVII, 88] summa-
rischerwiedergegeben, und auch die Goldstickerei an
den Gewändern ist freier behandelt.30 Ähnliches gilt
für Rembrandts Brustbild eines Orientalen in Mün-
chen (Alte Pinakothek) [Kat. 417, XVII, 88], bei dem
die Andeutung der textilen Struktur des Gewandes
mit einer assoziativen Betrachtungsweise rechnet.31
Es fragt sich, ob die von Rembrandts konventio-
nellen Bildnissen abweichende Ausführung der in
26 RRP 1982-2005, Bd. 3, Kat. Nr. A122, S. 245.
27 Zwar zählt das RRP das Bild zur B-Kategorie und damit zu
den Rembrandt nicht sicher zuzuschreibenden Werken. Van
de Wetering hält jedoch an der Zuschreibung an Rembrandt
fest, RRP 1982-2005, Bd. 2, Kat. Nr. B8, S. 587.
28 Zur Malweise des Orientalen vgl. RRP 1982-2005, Bd. 2,
Kat. Nr. B8, bes. S. 585, 587.
29 Vgl. unten, Kap.V.3. Dass Rembrandt die Auffassung ver¬
treten habe, der autonome Künstler entscheide selbst, an
welchem Punkt der Ausführung seine Werke vollendet seien,
berichtet bereits Houbraken 1753, Bd. 1, S. 259: »zyne
[Rembrandts] schilderyen, waar van lk ’er gezien heb, daar
dingen ten uitersten in uitgevoert waren, en de rest als met
een ruwe teerkwast zonder agt op teekenen te geven was aan-
gesmeert. En in zulk doen was hy niet te verzetten, nemende

den dreißiger Jahren gemalten, phantasievoll kos-
tümierten Figuren ohne Attribute ausreicht, um sie
von der Gattung Porträt abzugrenzen und als Tro-
nien einzustufen. Immerhin wäre denkbar, dass der
Meister Kostümporträts anfertigte, für die er - in
Anlehnung an die Behandlung seiner Historien - eine
freiere Malweise einführte als im konventionellen
Porträt üblich, und dies als besonderes Markenzei-
chen seines Stils von den Auftraggebern akzeptiert
wurde. Ob dies der Fall war, wird im Folgenden zu
klären sein.
Gegen die Annahme, bei den porträtmäßig aufge-
fassten Figuren in Phantasietracht, die Rembrandt in
den dreißiger Jahren malte, handele es sich um Kos-
tümporträts, spricht zunächst, dass bisher für kein
einziges der in Frage stehenden Bilder ein bestimm-
ter Auftraggeber ermittelt werden konnte. Vielmehr
lässt sich für viele der Dargestellten belegen, dass es
sich um Personen handelt, die dem Meister für un-
terschiedliche Bildzusammenhänge Modell standen:
Zwar genügen Haltung, Beleuchtung, Ausdruck
und Profilansicht der Jungen Frau mit Fach er in Stock-
holm (Nationalmuseum) [Kat. 409, Taf. 87] durchaus
den Anforderungen eines Porträts, wie der Vergleich
mit Rembrandts 1632 gemaltem Bildnis der Amalia
van Solms im Profil (Paris, Musee Jacquemart-An-
dre) [Kat. 407, Taf. 87] zeigt; und auch das Attribut
des Fächers, welches für eine Tronie ungewöhnlich
ist, unterstützt diesen Eindruck. Die rotblonde junge
Frau erscheint jedoch auch auf Rembrandts ebenfalls
1632 gemaltem Brustbild einer jungen Frau in Bue-
nos Aires (Privatbesitz) [Kat. 410, Taf. 87], auf dem
jüngst wieder Rembrandt zugeschriebenen Brustbild
einer jungen Frau mit perlenbesetztem Barett32 [Kat.
408] (Privatbesitz) aus demselben Jahr sowie auf zwei
Historien der frühen dreißiger Jahre, der Entführung
tot verantwoording dat een stuk voldaan is als de meester zyn
voornemen daar in bereikt loeeft.«
30 Vgl. RRP 1982-2005, Bd. 2, Kat. Nr. A75, S. 355, Kat. Nr.
A50, S. 170.
31 Zur Malweise des Bildes vgl. RRP 1982-2005, Bd. 2, Kat. Nr.
A73, S. 346, 348.
32 Zu technologischer Untersuchung, Zustand und Zuschrei-
bung des Gemäldes an Rembrandt vgl. Gros Becker 1996;
RRP 1982-2005, Bd. 4, Corrigenda: Kat. Nr. II C61, S. 629-
635; Kat. Leiden 2005/06, Kat. Nr. 71, S. 221-224; Kat. Ams-
terdam / Berlin 2006, Kat. Nr. 15, S. 268f. Zur ehemaligen
Beurteilung des Bildes als Arbeit, die außerhalb von Rem-
brandts Werkstatt entstanden ist, vgl. RRP 1982-2005, Bd. 2,
Kat. Nr. C61, S. 695-697.
 
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