Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Hirschfelder, Dagmar
Tronie und Porträt in der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts — Berlin: Mann, 2008

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.47555#0141

DWork-Logo
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Die Entwicklung nach 1630

129

Eine besonders freie malerische Ausführung oder
eine sehr summarische Wiedergabe von Details kann
nach 1650 nicht mehr, wie in früheren Jahren, als Kri-
terium für die Beurteilung eines Gemäldes als Tronie
herangezogen werden. Dennoch lassen sich auch für
Rembrandts spätere Schaffenszeit Werke benennen,
die mit Sicherheit als Tronien klassifiziert werden
können, da sie sich von den gleichzeitigen Bildnissen
des Meisters, aber auch aller anderen zu dieser Zeit
tätigen Porträtmaler, äußerlich stark unterscheiden
oder aber ein bestimmtes Modell zeigen, das sie als
Tronien ausweist. Ist das Gesicht nahezu vollständig
verschattet und der Blick nach unten gerichtet, wie bei
Rembrandts Lesender alter Frau*2 (Drumlanrig Cast-
le) [Kat. 448, Taf. 95] von 1655 oder bei dem wohl aus
Rembrandts Werkstatt stammenden Alten Mann im
Lehnstuhl*3 (London, National Gallery) [Kat. 493]
von 1652, wurden die Figuren von den Zeitgenossen
zweifellos weder als Porträts verstanden, noch waren
sie vom Künstler als solche intendiert.
Auch die Kleidung der Dargestellten ist nach wie
vor ein wichtiges Indiz für die Zuordnung zur Gruppe
der Tronien: Bei einigen der nach 1650 entstandenen
Halbfiguren Rembrandts und seines Umkreises fällt
das Kostüm so schlicht und unspezifisch aus, dass es
den repräsentativen Ansprüchen der Porträtmalerei
nicht gerecht wird. Dies ist z. B. bei dem Alten Mann
in Den Haag (Mauritshuis) [Kat. 491, Taf. 103] von
1650 der Fall.82 83 84 Das Bild zeigt zudem ein im Rem-
brandtkreis wiederholt für Tronien verwandtes Mo-
dell, das früher für Rembrandts Bruder Adriaen ge-
halten wurde und unter anderem für den berühmten
Mann mit dem Goldhelm (Berlin, Gemäldegalerie)

[Kat. 492, Taf. 103] posierte.85 Auch andere Halbfi-
guren, die sein Gesicht zeigen, können als Tronien
identifiziert werden.86 Ähnliches gilt für Rembrandts
Halbfigur eines bärtigen Mannes mit Barett von ca.
1655 (London, National Gallery) [Kat. 447, Taf. 95],
bei dem es sich offensichtlich um denselben Mann
handelt, der Rembrandt auch für seinen Aristoteles
mit der Büste Homers in New York (Metropolitan
Museum of Art) [Kat. 444, Taf. 94] Modell stand.87
Die Reihe entsprechender Verknüpfungen ließe sich
fortsetzen. Festzuhalten bleibt jedoch, dass Figuren
in Phantasietracht, die Rembrandt nach 1650 malte,
nicht unbedingt als Tronien intendiert waren - und
zwar selbst dann nicht, wenn sie in rauer Manier aus-
geführt sind. Ein besonderes Problem bei der Klassifi-
zierungsfrage stellen jene Figuren dar, von denen man
heute glaubt, in ihnen die engsten Familienmitglieder
Rembrandts, nämlich Hendrickje Stoffels und Titus
van Rijn, erkennen zu können. Wie bei Saskia fragt sich
hinsichtlich der Darstellungen Hendrickjes,88 welche
Werke als Porträts der Gefährtin des Malers Rembrandt
mit Repräsentations- und Memorialfunktion und wel-
che als Phantasiefiguren angesehen werden müssen. Das
Gemälde in Paris (Louvre) von ca. 1655 [Kat. 441, Taf.
93] beispielsweise wirkt aufgrund der aufrechten Hal-
tung und des zum Betrachter gerichteten Blicks wie ein
Porträt, während die nach vorne geneigte, nach unten
schauende Frau auf dem 1660 datierten New Yorker
Gemälde (Metropolitan Museum of Art)89 [Kat. 455,
Taf. 97] eher an eine Phantasiefigur denken lässt. Dies
legen auch die Ausführung von Gewand und Hand
nahe, da sie nicht nur rau gemalt sind, sondern in groß-
en Partien wie unvollendet erscheinen.90

82 Zu dem Gemälde vgl. zuletzt Kat. Edinburgh / London
2001, Kat. Nr. 121, S. 212f.
83 Zur Abschreibung des Bildes vgl. Tümpel 1993, Kat. Nr.
A47. Schwartz 1987, Nr. 339, S. 305, glaubt an die Autor-
schaft Rembrandts.
84 Schwartz 1987, Kat. Nr. 338, S. 305, und Qu. Buvelot in Kat.
Den Haag 2004b, S. 262f., schreiben das Bild Rembrandt zu;
Tümpel 1993, Kat. Nr. A43, hält es für ein Schulwerk.
85 Vgl. Bredius 1935, Kat. Nr. 128-131; Bauch 1960, S. 168f. Zur
heutigen Abschreibung der bei Bredius aufgeführten Werke
vgl. Tümpel 1993, Kat. Nr. A44, A51, A43, A49. Die Iden¬
tifizierung des Dargestellten als Rembrandts Bruder Adriaen
entbehrt jeder dokumentarischen Grundlage, RRP 1982-2005,
Bd. 1, Kat. Nr. A8, S. 128; Blankert 1997798a, S. 46.

86 Vgl. z.B. Tümpel 1993, Kat. Nr. A44, A51, A43, A49;
Sumowski 1983-1994, Bd. 1, Kat. Nr. 131, 345, Bd. 4, Kat.
Nr. 1592b, Bd. 5, Kat. Nr. 2043. Dieselben Beispiele mit einer
Ausnahme auch bei Kelch 1986, Taf. II, Abb. 7-10, S. 20,
Abb. 14, 15, S. 22.
87 Held 1991, S. 43; Kat. Washington / Los Angeles 2005,
Kat. Nr. 1, S. 73.
88 Vgl. z.B. Tümpel 1986, Kat. Nr. 187-189; Schwartz 1987,
Kat. Nr. 323-328, S. 292-295; Kat. Edinburgh / London
2001, Kat. Nr. 125, S. 218f, Kat. Nr. 127, S. 222f.
89 Zu dem Bild vgl. jüngst Kat. Edinburgh / London 2001,
Kat. Nr. 125, S. 218f., Kat. Nr. 127, S. 222f.; Kat. Kyoto /
Frankfurt 2002/03, Kat. Nr. 36, S. 190-192.
90 Vgl. W. Liedtke in Kat. New York 1995/96b, Kat. Nr. 16, S.
78-80.
 
Annotationen