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Hirschfelder, Dagmar
Tronie und Porträt in der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts — Berlin: Mann, 2008

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https://doi.org/10.11588/diglit.47555#0145

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Die Entwicklung nach 1630

133

den können. Zwar sind die meisten Tronien Dous
- seiner Spezialisierung auf die Feinmalerei entspre-
chend - sehr glatt gemalt und lassen die individuelle
Handschrift des Meisters nicht erkennen. Wie bei dem
Brustbild eines Greises in Washington (Corcoran
Gallery of Art) [Kat. 90, Taf. 15] ersichtlich, locker-
te Dou seine Vortragsweise unter Umständen jedoch
erheblich. Auch kommt es vor, dass das Gesicht ei-
ner Tronie glatt, Kostüm oder Hintergrund aber in
pastoserem Farbauftrag ausgeführt sind - eine für
Dous Porträts unübliche Gestaltungsweise, die sich
beispielsweise bei dem Jungen Schwarzen mit Turban
und goldener Kette in Hannover (Niedersächsisches
Landesmuseum) [Kat. 92, Taf. 17] beobachten lässt.
Govaert Flinck
Eine interessante Entwicklung von relativ sorgfältig
hin zu grob ausgeführten Tronien lässt sich im CEuv-
re Govaert Flincks nachvollziehen. Dieses verdient
auch deshalb besondere Beachtung, weil Flinck ne-
ben Boi und Drost zu denjenigen Schülern Rem-
brandts gehört, die sich am intensivsten mit dem von
ihrem Meister übernommenen Bildtyp der Tronie
beschäftigten.113
Flincks früheste erhaltene Brustbilder in Phan-
tasietracht stammen aus den Jahren 1636/37 und
zeichnen sich in der Regel durch aufrechte Haltung,
ernsten Gesichtsausdruck und den Blick zum Be-
trachter aus [Kat. 134-137, Taf. 29].114 Auch in mal-
technischer Hinsicht unterscheiden sie sich nicht so
stark von Flincks konventionellen Porträts aus dieser
Zeit, dass eine Bildnisfunktion der Werke von vorn-
herein ausgeschlossen werden könnte. Zwar kann die
Farbschicht der Bilder, besonders in der Kleidung

113 Houbraken 1753, Bd. 2, S. 21, erwähnt, dass Flinck 1633
beschloss, für ein Jahr bei Rembrandt in die Lehre zu gehen.
Zum Status Flincks als Geselle Rembrandts vgl. Wetering
1986, S. 45, 57; Bruyn 1991/92, S. 69; Veen 2006, S. 160-163.
114 Zu den signierten und datierten Tronien dieser Zeit vgl.
Moltke 1965, Kat. Nr. 342, S. 136, Abb. S. 135; Sumowski
1983—1994, Bd. 2, Kat. Nr. 658, 663, 664. Für weitere Flinck
zugeschriebene Tronien aus den mittleren dreißiger Jahren
vgl. Sumowski 1983-1994, Bd. 2, Kat. Nr. 642, 659, 660, 661,
665, Bd. 5, Kat. Nr. 2080, 2081, Bd. 6, Kat. Nr. 227S; Liedt-
ke 1995b, S. 160-162. Die mit kursiv gedruckten Nummern
angegebenen Werke sind nicht bei Moltke 1965, aufgeführt.
Dieser macht in vielen Fällen keine Angaben zur zeitlichen
Einordnung der undatierten Werke Flincks. Zur Zuschrei-
bung von Sum. 2080 und Sum. 2081 vgl. Kat. Paris 1979,

stärkere Transparenzen aufweisen, stellenweise die
Pinselschrift des Künstlers deutlicher erkennen las-
sen und punktuell pastoser aufgetragen sein, als dies
in Flincks frühen Porträts in zeitgenössischer Tracht
zu beobachten ist. Von einer bedeutend freieren oder
summarischeren Ausführung der phantasievoll kos-
tümierten Figuren kann jedoch schon deshalb nicht
die Rede sein, weil die Tracht der Dargestellten auf
den ersten Bildnissen Flincks stofflich meist wenig
differenziert, in ihrem Detailreichtum begrenzt und
nicht mit der Präzision eines Pickenoy oder van
Miereveld ausgeführt ist [Kat. 139, Taf. 30].115 Auch
hinsichtlich der Malweise in den Gesichtern besteht
meist keine signifikante Diskrepanz zwischen den
beiden Bildgruppen.
Dennoch kann an der Zugehörigkeit der meisten
von Flincks frühen Brustbildern in Phantasietracht
zum Bildtyp Tronie kein Zweifel bestehen, da der
Maler wie Dou für die Herstellung seiner Tronien
häufig auf Modelle zurückgriff, die bereits im Werk
seines Meisters erscheinen. Die Züge der Dargestell-
ten wirken allerdings oftmals typisiert, als habe der
Maler ihre individuelle Physiognomie verallgemeinert
- wie dies schon für bestimmte weibliche Gesichter in
Rembrandts CEuvre beobachtet wurde - oder als seien
sie eher anhand von Bildvorlagen entwickelt als nach
dem Leben entstanden.
Flincks 1637 datiertes Brustbild einer jungen
Fraunb in New Yorker Privatbesitz [Kat. 137, Abb.
21] beispielsweise orientiert sich nicht nur komposi-
tionell und motivisch an Rembrandts Brustbild einer
jungen Frau mit Schleier in Amsterdam (Rijksmuse-
um) [Kat. 419, Abb. 22]. Vielmehr übernimmt es auch
den Gesichtstyp des Vorbildes, ohne dabei allerdings
eine exakte Übereinstimmung mit den Zügen der

Inv. Nr. R.F. 1961-69, S. 59; Kat. New York 1995/96b, Kat.
Nr. 22, S. 91. Bruyn 1987a, S. 226, 233, Anm. 31, hält die Zu-
schreibungen von Sum. 657, 659, 660, 661, 665 an Flinck für
zweifelhaft. Sum. 657 wird von den meisten Autoren Jacob
Backer zugeschrieben, vgl. Sumowski 1983-1994, Bd. 6, Kat.
Nr. 11/657, S. 3607. Das von Sumowski 1983-1994, Bd. 5,
Kat. Nr. 2078, Flinck zugeschriebene Brustbild eines Jungen
in Phantasietracht (London, Wallace Collection) [Kat. 479]
ist laut RRP 1982-2005, Bd. 2, Kat. Nr. C62, bes. S. 701; Kat.
London 1992, Kat. Nr. P201, S. 295f., als anonyme Arbeit
aus Rembrandts Umkreis oderWerkstatt zu beurteilen.
115 Vgl. Sumowski 1983-1994, Bd. 2, Kat. Nr. 685-687.
116 Zur Zuschreibung des Bildes an Flinck vgl. Moltke 1965,
Kat. Nr. 342, S. 136, Abb. S. 135; Sumowski 1983-1994, Bd.
2, Kat. Nr. 664.
 
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