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Hirschfelder, Dagmar
Tronie und Porträt in der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts — Berlin: Mann, 2008

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https://doi.org/10.11588/diglit.47555#0149

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Die Entwicklung nach 1630

137

Ausschnitt und fiktivem Kostüm an die Seite stellen,
deren Bestimmung als Phantasiefiguren nicht evi-
dent ist, da die Werke weder anhand des dargestellten
Modells noch anderer äußerer Merkmale oder gar
schriftlicher Quellen als solche zu identifizieren sind.
Vielmehr verwendet Boi Haltungsmotive, Komposi-
tionsschemata und attributive Zugaben, die im Code
der Porträtmalerei verankert sind. Sein in München
(Alte Pinakothek) aufbewahrter Mann in pelzver-
brämtem Samtmantel mit Barett [Kat. 50, Taf. 9] bei-
spielsweise nimmt durch das Aufstützen des rechten
Arms auf die Fensterbrüstung eine Pose ein, die auf
Rembrandts berühmtes Selbstbildnis in der Londo-
ner National Gallery [Kat. 433, Taf. 92] zurückgeht141 142
und in der Folge von beiden Meistern auch für kon-
ventionelle Porträts genutzt wurde. Beispiele hierfür
sind Rembrandts 1641 datiertes Bildnis des Nicolaas
van Bambeeck (1596-1661) (Brüssel, Musee Royal
des Beaux-Arts) [Kat. 435] und Bois Porträt eines
Mathematikers'22 von 1658 (Paris, Louvre) [Kat. 63].
Im Bild der Halbfigur einer Frau in Phantasietracht
mit Perlenschmuck (unbekannter Besitz) von 1648
[Kat. 53, XI, 10] verwendet Boi architektonische Ver-
satzstücke bzw. Einrichtungsgegenstände, die zum
Standardrepertoire konventioneller niederländischer
Porträts gehörten: Mit der linken Hand stützt sich
die Frau auf die Armlehne eines schweren Stuhls, ihr
rechter Ellenbogen ruht auf einem steinernen Sockel
oder einer Brüstung, die von einer Steinkugel bekrönt
wird,143 und hinter ihr ist ein Vorhang drapiert.144
Wie eine Reihe weiterer Halbfiguren Bois in Phan-
tasietracht, die für Porträts besonders charakteristi-
sche Haltungen, Gesten und Motive aufweisen, ohne
auf eine benennbare fiktive oder historische Rolle
festgelegt zu sein,145 können die erwähnten Figuren
[Kat. 50, Taf. 9, Kat. 53, Taf. 10] nicht als bestimmte

Auftraggeber identifiziert werden. Die Frage, wie die
betreffenden Werke einzuschätzen sind, wird im Zu-
sammenhang mit der Behandlung des holländischen
Kostümporträts in Tronie-Manier zu untersuchen
sein.146 An dieser Stelle sei jedoch vorgreifend darauf
hingewiesen, dass Bois GEuvre neben Tronien auch
Figuren in phantasievoller Verkleidung umfasst, für
die sicher belegt werden kann, dass es sich um Bild-
nisse handelt. Damit gewinnt das Werk des Meis-
ters besondere Bedeutung für die Untersuchung der
Schnittstelle zwischen Porträt und Tronie.
Willem Drost
Wesentlich unkomplizierter als im Falle Ferdinand
Bois stellt sich die Beurteilung der Einfigurenbilder
des 1633 geborenen Willem Drost dar. Dieser absol-
vierte seine Lehre bei Rembrandt vermutlich Ende
der vierziger oder zu Beginn der fünfziger Jahre.147
Die Werke, die Drost während der ersten Hälfte der
fünfziger Jahre in Amsterdam schuf, verraten aus-
nahmslos eine starke Prägung durch Rembrandt. Im
Jahr 1655 ging Drost nach Italien, wo sich sein Stil in
Anlehnung an Ribera und die so genannten tenebrosi
stark veränderte, ehe er bereits im Jahr 1658 in Vene-
dig verstarb.148
Während der holländischen Periode beschäftigte
der Maler sich sehr intensiv mit der Produktion von
Tronien, von denen ein gutes Dutzend erhalten ist.
Insgesamt machen sie die größte Werkgruppe in-
nerhalb von Drosts rembrandteskem GEuvre aus.149
In der Hauptsache malte der Meister folgende Tro-
nietypen: Männer in Rüstung oder mit Barett bzw.
Pelzmütze und in kostbarer, häufig mit Juwelen und
Goldschmuck verzierter Phantasietracht [Kat. 96,
Taf. 18, Kat. 102, Taf. 20, Kat. 101, 103]; Tronien

141 Blankert 1982, Kat. Nr. 143, S. 144; Sumowski 1983-1994,
Bd. 1, Kat. Nr. 134.
142 Vgl. auch Bois Bildnis eines jungen Mannes, Leinwand, 94,5
x 75,6 cm, bez.: j Boi Fee / 1643, Berlin, Jagdschloss Grüne-
wald, Sumowski 1983-1994, Bd. 1, Kat. Nr. 161.
143 Zur Bedeutung des Motivs der Balustrade mit bekrönender
Kugel in der Porträtmalerei vgl. Jongh 1993b.
144 Für konventionelle Porträts von Boi, die dieselben Motive
zeigen, vgl. das Porträt einer Frau von 1656 (Kopenhagen,
Statens Museum for Kunst, Blankert 1982, Kat. Nr. 124, PI.
133), das Porträt der Elysabeth Dell (1628-1660) (Dell Park,
Sammlung Baron Bruno Schroeder) [Kat. 58, Taf. 11] sowie
das Porträt einer Frau in unbekanntem Besitz (Blankert
1982, Kat. Nr. 164, PI. 175). Als Beispiel für ein Gemälde
eines anderen Meisters mit den genannten Motiven vgl.

Govaert Flincks Bildnis einer Frau von 1646 (Raleigh,
North Carolina Museum of Art, Sumowski 1983-1994, Bd.
2, Kat. Nr. 703).
145 Vgl. u. a. folgende Bilder bei Blankert 1982, Kat. Nr. 61, PI.
61, Kat. Nr. 66, PI. 72, Kat. Nr. 67, Pl. 73, Kat. Nr. 71, Pl. 80,
Kat. Nr. 144, Pl. 155; Sumowski 1983-1994, Bd. 1, Kat. Nr.
144, Bd. 5, Kat. Nr. 2014.
146 Vgl. unten, Kap. IV.2.2.1.
147 Bikker 2005, S. lOf.
148 Zu Drosts italienischem Werk vgl. Bikker 2005, S. 40-47.
149 Vgl. Bikker 2005, S. 29, Kat. Nr. 7-11, 13-17, 21. Bikker ak-
zeptiert folgende, Drost von Sumowski zugeschriebene Tro-
nien: Sumowski 1983-1994, Bd. 1, Kat. Nr. 320, 321, 328-333,
Bd. 5, Kat. Nr. 2035, 2040. Vgl. außerdem Kat. Washington
1995,S.309-314.
 
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