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Hirschfelder, Dagmar
Tronie und Porträt in der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts — Berlin: Mann, 2008

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https://doi.org/10.11588/diglit.47555#0201

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Tronien und einfigurige Genre- und Historienbilder

181

Ein weiterer Aspekt, der die einfigurigen Genre-
bilder der Utrechter von Tronien trennt, besteht in
der malerischen Ausführung der Werke. Diese kann
keinen mit der Vortragsweise vieler Tronien ver-
gleichbaren Eigenwert beanspruchen. Eine raue oder
besonders skizzenhafte Manier kommt bei den Ut-
rechtern nicht vor, aber auch der feinmalerische Stil
eines Meisters wie Dou, der letztlich ebenfalls dar-
auf abzielt, die meisterliche Machart eines Bildes zu
betonen, ist ihnen fremd. Die Malerei tritt auf den
Halbfigurenbildern gegenüber dem Darstellungsge-
genstand wesentlich stärker zurück als dies bei vielen
Tronien der Fall ist.
Schließlich bewirkt eine verstärkte Typenbildung
bei manchen Einfigurenbildern der Utrechter, dass
die individuellen Züge des lebenden Modells nivel-
liert werden. Dies lässt sich beispielsweise bei den
weiblichen Halbfiguren Gerard van Honthorsts
beobachten, deren Gesichtstypen einander oftmals
gleichen, ohne dass die jungen Frauen dabei identisch
aussehen und als Figuren nach demselben Modell
beurteilt werden müssten.20 Allerdings ist einschrän-
kend zu bemerken, dass dieses Phänomen gelegent-
lich auch bei Tronien zu beobachten ist. Rembrandt
und Backer z.B. schufen bestimmte Figurentypen,
die zwar auf dem Studium nach dem Leben basieren,
jedoch bis zu einem gewissen Grad typisierte oder
idealisierte Züge aufweisen können.21 Entscheidend
ist, dass die Orientierung an der Wirklichkeit in der
Regel den Ausgangspunkt bei der Schöpfung von
Tronien bildete. Eine Auffassung, wie sie z.B. einige
der jungen Hirtinnen des Paulus Moreelse auszeich-
net, deren Züge zugunsten idealisierter Schönheit
vollkommen geglättet sind [Kat. 357, Taf. 77], ist da-
gegen schwerlich mit der Gestaltungsweise von Tro-
nien vereinbar.
Die Unterschiede im Erscheinungsbild von Tro-
nien und den einfigurigen Genrebildern der Ut-
rechter Caravaggisten ergeben sich letztlich aus zwei
spezifischen Eigenschaften von Tronien: Entweder
ähneln diese in Haltung, Ausdruck und naturnaher
Darstellungsweise einfigurigen Porträts, was bei
den Halbfiguren der Utrechter nicht der Fall ist, da
weder die Art ihres Agierens bzw. ihre Gestik und

20 Vgl. z.B. Honthorsts Hirtin mit Vogelnest (Leinwand, 80 x
65 cm, bez.: GvHonthorst. fe 1652, Utrecht, Centraal Mu¬
seum, Judson / Ekkart 1999, Kat. Nr. 193, PI. 103) von ca.
1622 mit seiner Violine spielenden jungen Frau (Leinwand,
84,5 x 66 cm, bez.: G.Honthorst 1626, Den Haag, Koninklijk

Mimik noch die bisweilen stark ausgeprägte Ideali-
sierung bzw. Typisierung der Dargestellten mit der
Porträtmalerei vergleichbar sind. Oder aber Tro-
nien zeichnen sich - z.B. hinsichtlich der Malweise
- durch einen Studienhaften Charakter aus, den die
Genrebilder ebenfalls nicht teilen.
2.2 Tronien mit signifikanten Attributen
am Beispiel der ersten Troniemaler
Die isolierten Halbfiguren der Utrechter Caravag-
gisten und die Tronien von Lievens, Rembrandt und
Hals stehen nicht nur in einer unterschiedlichen Bild-
tradition. Auch kommen zur Zeit der Entstehung
des Bildtyps Tronie in Leiden und Haarlem im Werk
der Utrechter keine Gemälde vor, die mit den zwei-
felsfrei als Tronien zu klassifizierenden Bildern von
Lievens, Rembrandts und Hals vergleichbar sind.
Dementsprechend eindeutig lassen sich die Halbfi-
guren der Utrechter Maler vom Bildtyp der Tronie
abgrenzen. Im Gegensatz zu den Utrechtern setzten
sich Lievens, Rembrandt und Hals frühzeitig sowohl
mit einfigurigen Genre- bzw. Historienbildern in re-
duziertem Ausschnitt als auch mit Tronien auseinan-
der. Dabei ist zu beobachten, dass die Beschäftigung
mit einer der Werkkategorien Auswirkungen auf die
Darstellungsformen und -absichten des jeweils ande-
ren, motivisch verwandten Bildtyps hatte. Lassen sich
Tronien und einfigurige Genre- bzw. Historienbilder
im Werk von Lievens und Rembrandt zwar in iko-
nographischer Hinsicht voneinander unterscheiden,
ist dies mit Blick auf die künstlerische Gestaltung
der Werke durchaus nicht immer möglich. Im CEuvre
von Frans Hals ist nicht einmal ikonographisch zwi-
schen den Werkgruppen zu trennen, da der Meister
auf einen Kopf reduzierte Bilder malte, die durch ihre
Attribute an etablierte Traditionen der Genremalerei
gebunden sind. Es fragt sich also, ob die isolierten,
mit signifikanten Attributen oder Kennzeichen aus-
gestatteten Halbfiguren der Maler dem Bildtyp der
Tronie in einem weiteren Sinne angeschlossen wer-
den können, selbst wenn sie nicht zu der ermittelten
Kerngruppe der Bildaufgabe gehören.

Kabinet van Schilderten, Mauritshuis, Judson /Ekkart 1999,
Kat. Nr. 225, PI. 124) von 1626. Zur Datierung der Hirtin mit
Vogelnest um 1622 vgl. Judson / Ekkart 1999, Kat. Nr. 193,
S. 164f.
21 Vgl. oben, Kap. III.1.2, S. 122, Kap. III.1.5, S. 149f.
 
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