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Hirschfelder, Dagmar
Tronie und Porträt in der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts — Berlin: Mann, 2008

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https://doi.org/10.11588/diglit.47555#0207

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Tronien und einfigurige Genre- und Historienbilder

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Individuelle, die für Tronien als typisch gelten kann.
Nicht ein Individuum, sondern die Rolle, die die Figuren
verkörpern, tritt bei den Flora-Darstellungen des
Meisters in den Vordergrund. Zudem erreichen die
Figuren auch deshalb keine mit Tronien vergleichbare
Präsenz, weil ihnen deren Nahsichtigkeit fehlt.
Zwar zeigt auch ein Werk wie Rembrandts Orien-
tale in New York (Metropolitan Museum of Art)
[Kat. 405, Taf. 86] einen größeren Bildausschnitt als
für Tronien gemeinhin üblich. Der neutrale Hinter-
grund und vor allem die durch die gebündelte Licht-
führung erzielte Konzentration auf Kopf und Schul-
terbereich der Figur bleiben jedoch erhalten und sind
mit der naturnahen Schilderung einer individuellen
Physiognomie verbunden, so dass sich die Beurtei-
lung eines solchen Bildes als Tronie oder zumindest
als eine im Ausschnitt erweiterte Tronie rechtfertigt.
Das Bild zeigt, dass die Übergänge hinsichtlich der
Größe des gewählten Figurenausschnitts bei Tronien
fließend sein können. Letztlich hängt die Frage, ob
eine Dreiviertelfigur als Tronie gelten kann, davon
ab, ob auch die übrigen Merkmale des Bildes dem
Konzept der Tronie entsprechen.
Ein weiterer Aspekt, der für die Unterscheidung
von Tronien und anderen Einfigurenbildern von Be-
deutung ist, betrifft die Gestaltung des Hintergrundes
bzw. des die Figur umgebenden Raumes. Freilich tritt
hierbei häufig ein für Tronien zu großer Bildausschnitt
als Abgrenzungskriterium hinzu. Erscheint ein nach
dem Leben gemaltes Modell in einem Interieur und ist
von Beiwerk umgeben, das über bloße Attribute, die
der Dargestellte in Händen hält, hinausgeht, kann von
einer Tronie nicht mehr die Rede sein. Die für Tronien
typische Isolierung der Figur und damit zusammen-
hängend der Fokus auf das Gesicht des Dargestellten ist
in einem solchen Fall nicht mehr gegeben. Als Beispiel
kann Lievens’ Federschneider (unbekannter Besitz)
[Kat. 281] dienen. Dessen Physiognomie verwandte der
Maler zwar auch für eine Tronie [Kat. 280], aufgrund
der Einbettung der Figur in eine detailliert wiedergege-
bene Umgebung ist das Gemälde selbst jedoch nicht als
Tronie zu betrachten.49

Auch die Fischerkinder von Frans Hals unter-
scheiden sich von Tronien im strengen Sinne: Da-
durch, dass sie vor einer Küstenlandschaft figurieren,
durch die ein unmittelbarer Bezug zur Lebenswelt
von Fischerleuten hergestellt wird, sind sie in einen
genrehaften Kontext eingebunden [Kat. 216, Taf.
45],50 der bei Tronien prinzipiell fehlt.
Das Vorhandensein von Gegenständen, die den
Bildraum definieren, kann allerdings nicht generell
als Ausschlusskriterium für die Bewertung eines Ge-
mäldes als Tronie geltend gemacht werden. Vielmehr
kam es ab den 1630er Jahren gelegentlich vor, dass
bei der Gestaltung von Tronien ohne identitäts- oder
bedeutungsstiftende Kennzeichen oder Attribute ar-
chitektonische Elemente wie Fensterrahmen, Stein-
brüstung, Säule bzw. Pfeiler oder Emrichtungsge-
genstände wie Stuhl, Tisch oder Vorhang eingesetzt
wurden [Kat. 42, Taf. 7, Kat. 55, Taf. 10, Kat. 264, Taf.
56, Kat. 533, Taf. 110]. Die genannten Elemente ge-
hen auf das dekorative Repertoire der Porträtmalerei
zurück und tragen der formalen Nähe vieler Tronien
zu dieser Gattung Rechnung.
Auch die eher summarische Andeutung von Ve-
getation im Bildhintergrund widerspricht nicht dem
Tronie-Charakter von Figuren wie Rembrandts >Ti-
tus< als Mönch in Amsterdam (Rijksmuseum) [Kat.
454, Taf. 97] oder Ferdinand Bois Altem Mann mit
federgeschmücktem Helm in Warschau (Muzeum
Narodowe) [Kat. 59, Taf. 11]: Zum einen tritt das
Laubwerk im Gegensatz zu den Figuren in der Far-
bigkeit und Helligkeit stark zurück und beansprucht
relativ wenig Raum, zum anderen nimmt es weder
hinsichtlich der einzelnen Formen noch einer mög-
lichen Bedeutung konkretere Gestalt an. Eine diffuse
Angabe gegenständlicher Elemente im Hintergrund,
die die Figur weder in einen Bedeutungszusammen-
hang einbindet noch über den für Tronien typischen
Bildausschnitt hinausgeht, ist mit der Klassifizierung
eines Gemäldes als Tronie durchaus vereinbar.51
Darüber hinaus ist es nicht immer möglich, be-
züglich der Gestaltung der räumlichen Umgebung ei-
ner Tronie eine genaue Grenze gegenüber Lösungen

49 Beide Bilder zeigen dasselbe Modell mit dicker Knollnase,
vgl. bereits Bauch 1967, S. 260. Haltung, Beleuchtung, Bart-
tracht und Kleidung der Figuren sind jedoch unterschiedlich
gestaltet.
50 Vgl. Kat. Washington / London / Haarlem 1989/90, Kat.
Nr. 34-36, S. 226-235. Zur Deutung von Hals’ Fischerkin-
dern vgl. außerdem Slive 1970/74, Bd. 1,S. 141-144; Koslow
1975; Stukenbrock 1993, S. 101-138.

51 Die Andeutung von Architektur im Hintergrund der Carei
Fabritius zugeschriebenen Frau im Profil mit Federbarett
und Perlenschmuck [Kat. 133, Taf. 28] wertet Ulrike Wegener
in Kat. Hannover 2000, Kat. Nr. 63, S. 165, fälschlich als
Zeichen dafür, dass es sich nicht um eine Tronie handele.
 
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