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Hirschfelder, Dagmar
Tronie und Porträt in der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts — Berlin: Mann, 2008

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https://doi.org/10.11588/diglit.47555#0209

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Tronien und einfigurige Genre- und Historienbilder

189

des Verhaltens der Protagonisten und damit eines
wesentlichen Moments beider Geschichten kommt
ein besonderer Stellenwert zu. Eine Beurteilung der
Gemälde als Tronien erweist sich aus diesem Grund
als problematisch. Der besondere Wert, den Rem-
brandt auf die Betonung der malerischen Vortrags-
weise der Werke legte, sowie sein Interesse an der
Darstellung einzelner lebensgroßer Figuren in knap-
pem Ausschnitt und damit an einer starken Verdich-
tung der Erzählung erklärt sich jedoch nicht zuletzt
aus der lebenslangen Beschäftigung des Meisters mit
Tronien.
Am Beispiel von Rembrandts einfigurigen >Heraus-
lösungen< wird nochmals die enge Verwandtschaft
deutlich, die Tronien und andere Einfigurenbilder
holländischer Maler im 17. Jahrhundert verbinden
kann. Diese zeigt sich in anderer Weise auch in
Rembrandts berühmter Darstellung des Aristoteles
mit der Büste Homers in New York (Metropolitan
Museum of Art) [Kat. 444, Taf. 94].56 57 Der die Figur
des Aristoteles umgebende Raum ist gegenüber dem
für Tronien üblichen Ausschnitt vergrößert und die
Umgebung durch Gegenstände wie die steinerne
Büste Homers auf dem Tisch und die links im Hin-
tergrund aufgestapelten Bücher genauer definiert.
Aufgrund des Beiwerks transportiert die Darstel-
lung naturgemäß einen Bedeutungsgehalt, der über
die inhaltlichen Implikationen isolierter Figuren,
wie Tronien sie zeigen, hinausgeht. Die Büste Ho-
mers und die an der Goldkette Aristoteles’ befestigte
Medaille mit dem Kopf Alexanders verweisen nicht
nur auf den Lebenskontext des Dargestellten, etwa
seine Rolle als Lehrer des jungen Alexander, son-
dern auch auf Eigenschaften und Wertvorstellungen
des Philosophen.5/ Die Verwandtschaft des Bildes
mit Tronien besteht insbesondere in der porträtmä-
ßigen Auffassung des Aristoteles: Die Figur weist

wie Rembrandts Charakterköpfe alter Männer stark
individualisierte Gesichtszüge auf und wird dem Be-
trachter in vornehm-würdiger Haltung präsentiert.
Als Modell diente derselbe Mann, dessen Züge auch
in der Halbfigur eines bärtigen Mannes mit Barett in
London (National Gallery of Art) [Kat. 447, Taf. 95]
begegnen.58 An die Gestaltung von Tronien erinnern
des Weiteren die phantasievolle Tracht des Darge-
stellten, dessen sinnender Blick, der pastose Farbauf-
trag in weiten Teilen des Gemäldes und die beson-
ders effektvolle Verteilung von Licht und Schatten.
Beim Vergleich mit Tronien ist allerdings nicht nur
das komplexe ikonographische Programm des Bildes
als deutlicher Unterschied zu werten. Auch die Auf-
tragssituation entspricht nicht den für Tronien üb-
lichen Produktionsbedingungen. Tronien wurden in
der Regel für den freien Markt geschaffen,59 während
Rembrandts Aristoteles im Auftrag des sizilianischen
Sammlers Don Antonio Ruffo entstand, wobei die
Themenwahl allerdings weitgehend Rembrandt
selbst überlassen blieb.60
Trotz der klar benennbaren Unterschiede, die
zwischen einem Gemälde wie Rembrandts Aristote-
les und Tronien bestehen, ist ein solches Bild m. E.
eher als Konsequenz aus der Tronieproduktion des
Meisters zu begreifen denn als reduzierte Historie,
deren Gehalt im Sinne einer >Herauslösung< in einer
einzigen Figur verdichtet ist. Neben der künstlerisch-
formalen Verwandtschaft zu Tronien bezieht sich
Rembrandts Aristoteles nämlich nicht, wie dies in
der Historienmalerei üblich wäre, auf ein bestimm-
tes Ereignis aus dem Leben des Philosophen, son-
dern ist wie eine Tronie in der Art eines unmittelbar
am Leben orientierten Phantasieporträts gestaltet.
Rembrandt bediente sich damit eines Darstellungs-
modus, den er schon früher anhand seiner Tronien
entwickelt hatte.

56 Zu Deutung und Entstehungsgeschichte des Bildes vgl. Em-
mens 1968, S. 172-174; Schwartz 1987, S. 301-304; Carroll
1984; Tümpel 1986, S. 361-364 u. Kat. Nr. 108, S. 402; Held
1991; Kat. New York 1995/96b, Kat. Nr. 11, S. 65—69; jüngst
Kat. New York 2007, Bd. 2, Kat. Nr. 151, S. 629-654.
57 Vgl. Held 1991, bes. S. 28-55. Vgl. auch Emmens 1968, S.
173f.; Kat. New York 1995/96b, Kat. Nr. 11, S. 65f.
58 Held 1991, S. 43; Kat. New York 2007, Bd. 2, Kat. Nr. 151,
S. 642.

59 Vgl. unten, Kap. III.5.1.
60 Strauss / Meulen 1979, Dok. 1654/10, S. 315; Schwartz 1987,
S. 301; Held 1991, S. 26f.; Kat. New York 1995/96b, Kat. Nr.
11, S. 66, 68. Ganz offensichtlich war sich Ruffo über die Iden-
tität der dargestellten Figur nicht genau im Klaren, denn er
verzeichnete das Bild am 1.9.1654 wie folgt in seinem Inven-
tar: »mezza figura d’un filosofo quäl si fece in Amsterdam
dal pittore nominato Rembrant (pare Aristotile o Alberto
Magno).« Strauss / Meulen 1979, Dok. 1654/16, S. 320.
 
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