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Hirschfelder, Dagmar
Tronie und Porträt in der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts — Berlin: Mann, 2008

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https://doi.org/10.11588/diglit.47555#0217

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Überblick zu Verbreitung und Erscheinungsformen

197

tem Helm in Warschau (Muzeum Narodowe) [Kat.
59, Taf. 11] gelten.13 Von Jan Victors, der wohl vor
1640 von Rembrandt unterrichtet wurde und damit
vermutlich zur selben Zeit wie Boi bei ihm arbeite-
te,14 sind nicht viele Tronien bekannt. Seine im Lou-
vre aufbewahrte Junge Frau am Fenster [Kat. 533,
Taf. 110], die bereits 1640 datiert ist, könnte jedoch
zu den Vorbildern von Bois reich gekleideten jungen
Frauen am Fenster [Kat. 52, Taf. 10] gehört haben.15
Van Hoogstraten, der ebenfalls bei Rembrandt lern-
te, trug vor allem um die Mitte der vierziger Jahre
zur Ausbreitung des Bildtyps in Amsterdam bei.16
Anschließend kehrte er in seine Heimatstadt Dor-
drecht zurück, wo er im Jahr 1648 zum ersten Mal
wieder dokumentiert ist.17 Den erhaltenen Werken
nach zu urteilen, malte er nur bis zum Ende der vier-
ziger Jahre in nennenswertem Maße Tronien.18
Wie van Hoogstraten war auch Carei Fabritius
(1622-1654) in den vierziger Jahren in der Werkstatt
Rembrandts tätig.19 Tronien von seiner Hand sind
aus dieser Zeit nicht erhalten, wohl aber dokumen-
tarisch belegt: Das Inventar seiner verstorbenen Frau
Aeltge Hermansdr. van Hasselt enthält sieben Tro-
nien, die mit hoher Wahrscheinlichkeit von Fabritius
selbst stammen.20 Noch im Jahr 1643 ging der Maler
zurück nach Middenbeemster. Mit seiner zweiten
Frau, die er 1650 heiratete, ließ er sich später in Delft
nieder, wo er 1652 in die Malergilde eintrat, aber

bereits im Oktober 1654 frühzeitig bei der Explo-
sion des Pulvermagazins der Stadt ums Leben kam.21
Auch aus Fabritius’ Schaffenszeit in Middenbeems-
ter und Delft haben sich keine Tronien erhalten, die
dem Meister mit Sicherheit zugeschrieben werden
können. Sowohl der von Brown noch klar als eigen-
händig akzeptierte, ans Ende der vierzigerJahre da-
tierte Mann mit Helm22 (Groninger Museum) [Kat.
132] als auch die mit der Signatur »fabritius. 1654«
versehene Frau im Profil mit Federbarett und Per-
lenschmuck (Hannover, Niedersächsisches Landes-
museum) [Kat. 133, Taf. 28] werden im jüngsten, dem
Werk des Meisters gewidmeten Ausstellungskatalog
abgeschrieben.23 Erhaltene Inventare belegen aller-
dings, dass Tronien einen wichtigen Anteil im Schaf-
fen des Meisters ausgemacht haben müssen.24 Nicht
zuletzt aus diesem Grund wurde in der Forschung
immer wieder der Versuch unternommen, Fabritius
entsprechende Werke zuzuweisen.25
Neben Fabritius ist Johannes Vermeer (1632—
1675) als einer der wenigen Delfter Maler zu nennen,
die Tronien schufen, wenn sein GEuvre auch nur eine
sehr kleine Zahl solcher Bilder enthält. Vermeer wer-
den heute lediglich drei, höchstens vier Tronien junger
Mädchen oder Frauen in Phantasietracht zugeschrie-
ben [Kat. 531, Taf. 110, Kat. 532]. Alle diese Bilder
entstanden nach heutiger Auffassung um die Mitte
bzw. in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre.26 Es

13 Sumowski 1983-1994, Bd. 1, Kat. Nr. 131, datiert das Bild
um 1657. Blankert 1982, Kat. Nr. 75, PI. 83, datiert es um
1655, wobei seine Verknüpfung mit Bois Phyrrhus und
Fabritius im Amsterdamer Stadthaus (heute Königliches
Schloss, nördl. Kaminmantelbild im Bürgermeisterzimmer)
nicht überzeugt. Der Alte Mann mit federgeschmücktem
Helm zeigt die Züge eines im Umkreis Rembrandts in den
fünfziger Jahren häufig verwendeten, früher für Rembrandts
Bruder Adriaen gehaltenen Modells, vgl. oben, Kap. III. 1.2,
S. 129.
14 Miller 1985, S. 12-22.
15 Miller 1985, S. 115f., zufolge führte Victors den Typus der
im Fenster lehnenden Halbfigur als erster Rembrandt-Schü-
ler in der Form einer unabhängigen Komposition aus. Zu
dem Gemälde vgl. auch Kat. Paris 1988/89, S. 78-81; Su-
mowski 1983-1994, Bd. 4, Kat. Nr. 1785.
16 Für van Hoogstratens Tronien vgl. Sumowski 1983-1994, Bd.
2, Kat. Nr. 843-848, 850, 851, 853, 856, Bd. 6, Kat. Nr. 11/843;
Roscam Abbing 1993, Kat. Nr. 1-4; Brusati 1995, Kat. Nr.
1, 2, 3, 9, 10, Al, A6. Brusati schreibt folgende Werke nicht
Hoogstraten zu: Sum. 845, 846, 848, 850.
17 Roscam Abbing 1993, Dok. 13, S. 36.
18 Vgl. Sumowski 1983-1994, Bd. 2, Kat. Nr. 823-903, Bd. 5,
Kat. Nr. 2092-2099. Brusati 1995, S. 346-354, 367f.; Roscam
Abbing 1993, S. 99-170.

19 Vgl. Hoogstraten 1678, S. 11; Brown 1981, S. 16-18;
Duparc 2004/05, S. 17.
20 Brown 1981, S. 147, Dok. 6 (Inv. Aeltge Hermansdr. van
Hasselt, Amsterdam 24.04.1643). Vgl. oben, Kap. III.1.4, S.
146, Anm. 220.
21 Brown 1981, S. 23, 62f.; Duparc 2004/05, S. 13.
22 Brown 1981, Kat. Nr. 3, S. 122f. (Datierungum 1648/49). Auch
Sumowski 1983—1994, Bd. 2, Kat. Nr. 604, akzeptiert die Zu-
schreibung des Bildes an Fabritius (Datierung um 1650/52).
23 Zur Abschreibung des Bildes in Groningen vgl. Kat. Den
Haag / Schwerin 2004/05, Kat. Nr. 13, S. 147-149. Zur Ab-
schreibung des Bildes in Hannover vgl. Duparc 2004/05, S.
60f. m. Abb. 56, S. 61. Zur kontroversen Forschungsdiskus-
sion bzgl. des Hannoveraner Bildes vgl. Kat. Hannover
2000, Kat. Nr. 63, S. 164-166.
24 Vgl. Brown 1981, S. 147, Dok. 6, S. 147 (Inv. Aeltge Her-
mansdr. van Hasselt, Amsterdam 24.04.1643), Dok. 33, S.
154 (Inv. Catrina Luijs, Amsterdam 27.8.1664), Dok. 43,
S. 157 (Inv. Catharina Bolnes, Delft 29.2.1676), Dok. 47, S.
157f. (Inv. Aernout Eelbrecht, Leiden 4.3.1683); Dok. 51, S.
158 (Inv. Jacob Vallensis, Delft 15.4.1725). Vgl. auch Duparc
2004/05, S. 48f.
25 Vgl. Brown 1981, Kat. Nr. Al—A3, PI. 10-12. Vgl. auch
Duparc 2004/05, S. 48f.
26 Vgl. oben, Kap. III.1.6, S. 151, Anm. 262, 263.
 
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