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Hirschfelder, Dagmar
Tronie und Porträt in der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts — Berlin: Mann, 2008

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https://doi.org/10.11588/diglit.47555#0223

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Überblick zu Verbreitung und Erscheinungsformen

203

Erfolg Tronien hergestellt wurden. Vielmehr kon-
zentrierte sich ein Hauptteil der Tronieproduktion
auf wenige Städte: Die meisten Künstler, die sich mit
dem Bildtyp beschäftigten, waren in Leiden, Ams-
terdam, Dordrecht und Haarlem tätig. Dies erklärt
sich daraus, dass hier zu Beginn der Entwicklung die
bedeutendsten Troniemaler arbeiteten und ihre Spe-
zialisierung auf den Bildtyp an ihre Schüler weiter-
gaben. Darüber hinaus ist festzustellen, dass Tronien
in den Jahren 1630-1660 die stärkste Verbreitung in
den Nördlichen Niederlanden fanden. Zum einen
beschäftigten sich in dieser Zeit die meisten Maler
mit dem Bildtyp, zum anderen ist zwischen 1630
und 1660 die zahlenmäßig höchste Konzentration
von Tronien innerhalb des (Euvres vieler der betref-
fenden Meister zu verzeichnen. Von den 40 aufge-
führten Künstlern malten in den dreißiger und vier-
ziger Jahren nachweislich jeweils 21 bzw. 20 Meister
Tronien, in den fünfziger Jahren waren es noch 17,
während in den sechziger Jahren mit nurmehr sieben
bedeutenderen Malern, die Tronien produzierten, ein
deutlicher Einbruch zu verzeichnen ist. Nach 1670
beschäftigten sich nur noch vereinzelte Künstler mit
dem Bildtyp.
Nachdem Lievens, Rembrandt und Hals Tronien
in den zwanziger Jahren in die holländische Malerei
eingeführt hatten, breitete sich der Bildtyp offen-
sichtlich innerhalb kürzester Zeit aus. Vor allem die
von den beiden Leidenern favorisierten Tronietypen,
die Figuren m reicher Phantasietracht oder Greise in
schlichterer Kleidung zeigen, waren sehr erfolgreich.
Maler, die diese Typen übernahmen, müssen nicht un-
bedingt direkt auf Werke Lievens’ oder Rembrandts
zurückgegriffen haben, sondern können auch durch
Vermittlung dritter mit ihnen in Berührung gekom-
men sein. Begabte Meister wie Jacob Backer und Pie-
ter de Grebber, aber auch Rembrandts talentierteste
Schüler, darunter Gerard Dou und Ferdinand Boi,
entwickelten - häufig nach anfänglich starker Orien-
tierung an Rembrandt - eigenständige Bildlösungen,
die Innovationen motivischer oder stilistischer Art
beinhalten, und profitierten dabei von unterschied-
lichen künstlerischen Einflüssen. Bei den wenigen
Malern, die nach 1660 noch Tronien schufen, handelt
es sich interessanterweise entweder um Meister ers-
ten Ranges - nämlich Rembrandt, van Mieris, Ver-
meer und van Ostade - oder aber um Künstler, die
dem Werk dieser Meister besonders stark verpflichtet
waren. Letzteres gilt für Aert de Gelder und Corne-
lis Dusart, die noch lange nach dem Tod ihrer Lehrer
Rembrandt und van Ostade Tronien in deren Manier

malten. Eine Erklärung hierfür könnte sein, dass
Tronien als besonders charakteristische Beispiele der
Kunst der erstgenannten Meister (und damit auch der
ihnen besonders nahe stehenden Schüler) betrachtet
wurden, so dass ihr Wert aus Sicht der Zeitgenossen
weniger im dargestellten Sujet als vielmehr darin be-
stand, dass man ihren Schöpfer kannte.67
3.2 Das Spektrum unterschiedlicher
Tronietypen
Die holländischen Maler des 17. Jahrhunderts schu-
fen sehr unterschiedliche Formen und Typen der Tro-
nic, die sich im Wesentlichen aus der Kombination
von Alter und Geschlecht mit Ausdruck und Gestik
sowie einer bestimmten Kostümierung der Figuren
ergeben. Davon abgesehen sind innerhalb des Spek-
trums erhaltener Tronietypen zwei Pole auszuma-
chen: Auf der einen Seite stehen im Vergleich mit der
Porträtmalerei besonders unkonventionell gemalte,
mit Schlagwörtern wie >studien-< oder >skizzenhaft<
zu charakterisierende Werke; auf der anderen Seite
sind dagegen ausgesprochen porträthaft wirkende
Bilder zu verzeichnen, die aufgrund ihrer formalen
Gestaltung nur schwer oder gar nicht von Bildnissen
zu unterscheiden sind. Zwischen diesen beiden Ex-
tremen ist die große Zahl jener Tronien anzusiedeln,
die bezüglich einzelner Aspekte in die eine oder an-
dere Richtung tendieren bzw. Eigenschaften beider
Ausprägungen vereinen. Haltung und Gesichtsaus-
druck von Rembrandts Altem Mann mit Pelzmantel
in Innsbruck (Tiroler Landesmuseum) [Kat. 394, Taf.
V, 84] beispielsweise entsprechen der Darstellungs-
weise eines Bildnisses, die Malweise jedoch trägt ei-
nen eher experimentellen Charakter.
Die Gestaltungsmöglichkeiten, die sich im Span-
nungsfeld der beiden genannten Ausprägungen von
Tronien ergeben, gelten prinzipiell für die gesamte
Bandbreite unterschiedlicher Tronietypen. Allerdings
fällt auf, dass gerade Tronien in unspezifischem Kos-
tüm häufig Studienhaft wirken, was sich vor allem in
einer zufällig bzw. wie für einen anderen Bildkon-
text vorgesehen wirkenden Haltung sowie besonders
skizzenhafter Malweise äußert [Kat. 193, Taf. 39, Kat.
298, Taf. 63, Kat. 395, Taf. V, 84], Dies überrascht in-
sofern kaum, als die Schilderung eines detailreichen
Kostüms nicht erforderlich war, wenn es primär
67 Vgl. hierzu unten, Kap. V.3.
 
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