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Hirschfelder, Dagmar
Tronie und Porträt in der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts — Berlin: Mann, 2008

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https://doi.org/10.11588/diglit.47555#0224

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204

Verbreitung und Formen der Tronie

darum ging, Haltung, Physiognomie und Gesichts-
ausdruck einer Figur unter bestimmten Lichtbedin-
gungen zu studieren.68
Als wesentliche Figurentypen des Bildtyps Tro-
nie sind Greise und Greisinnen, junge Männer, Män-
ner mittleren Alters, junge Frauen und Kinder zu
nennen. Dabei ist ein deutliches Übergewicht alter
und junger Modelle festzustellen. Frauen mittleren
Alters kommen nur sehr selten vor und auch Männer
mittleren Alters wurden nicht so häufig dargestellt
wie Greise oder junge Männer. Zudem ist insgesamt
eine wesentlich größere Zahl männlicher als weib-
licher Tronien erhalten. Relativ klein ist die Gruppe
der Kindertronien, auf die allerdings Maler wie Frans
Hals oder Michael Sweerts einen Schwerpunkt ihrer
Tronieproduktion legten. Die Kostümierung der Fi-
guren ist in der Regel geschlechts- und altersspezi-
fisch gebunden. Doch wurden bestimmte Kostüme
auch für Tronien unterschiedlichen Alters verwen-
det. Bei der Bestimmung von Tronietypen ebenfalls
zu berücksichtigen sind Mimik, Gestik sowie die
Haltung der Figuren. Diese Aspekte oder kurz der
>Ausdruck< von Tronien hängt dabei wesentlich von
dem durch Alter, Geschlecht und Kostüm definierten
Typus ab, wie noch darzulegen ist.
Um einen Überblick über die wichtigsten Tronie-
typen zu geben, wurde eine Tabelle (Tab. 1) erstellt,
in der in knappen Stichworten Angaben zu Alter,
Geschlecht, Kostümierung, >Ausdruck< sowie einer
möglichen Rollenbestimmung der Figuren gemacht
werden. Zusätzlich sind jeweils relevante Beispiele
verzeichnet, die in dieser Arbeit abgebildet oder ge-
nannt sind. Da sich gerade aus den differierenden
Kostümierungen die große Bandbreite unterschied-
licher Tronietypen ergibt, bietet es sich an, Tronien
eines bestimmten Alters und Geschlechts zunächst
ausgehend von ihrer Kleidung zu unterscheiden.
Innerhalb der entsprechenden Gruppen kann dann
mit Blick auf Mimik und Gestik der Figuren weiter
differenziert werden. Diese Methode stößt allerdings
dort an ihre Grenzen, wo bestimmte Tronietypen
sich ebenso sinnvoll aufgrund der Komponenten
>Alter/Geschlecht< in Verbindung mit >mimischem
Ausdruck< zu einer Gruppe zusammenfassen lassen
wie aufgrund von >Alter/Geschlecht< in Verbindung
mit >Kostüm<. So könnte man beispielsweise alle la-
68 Es wurde bereits gezeigt, dass Tronien Studienzwecke erfül-
len oder zur Werkvorbereitung dienen konnten, vgl. oben,
Kap. 11.1.5, Kap. III.1.4, Kap. III. 1.7, S. 153-155.

chenden Knabentronien einer einzigen Bildgruppe
zuordnen. Da sie in phantasievoller, unspezifischer
oder bürgerlicher Tracht dargestellt wurden, tauchen
sie in der Tabelle jedoch an verschiedenen Stellen
auf. Auch ließen sich Greise in reicher und solche in
einfacher Tracht zu ein und derselben Gruppe zäh-
len, etwa, wenn die Dargestellten in beiden Fällen als
Typus des >Gelehrten< interpretiert werden können.
Davon abgesehen ist eine eindeutige Kategorisierung
der Tracht von Tronien alter Männer als >reich< oder
>einfach< nicht immer ohne weiteres möglich, etwa
wenn Greise keine Kopfbedeckung und ein unauffäl-
liges, nicht näher spezifiziertes Gewand, gleichzeitig
aber eine Goldkette tragen.69
Die vielfältigen Ausprägungen der unterschied-
lichen Tronietypen, die sich gegenseitig überschnit-
ten und beeinflussten, lassen sich nicht in ein festes
Schema pressen, so dass jeder Klassifizierungsver-
such nicht mehr als eine Annäherung bieten kann.
Keinesfalls soll suggeriert werden, dass scharfe Gren-
zen zwischen den einzelnen Gruppen von Tronien
zu ziehen sind. Nichtsdestoweniger lassen sich be-
stimmte Kerngruppen ausmachen, die sich durch ein
bestimmtes Motivrepertoire auszeichnen und ganz
offensichtlich eine jeweils eigene Bildtradition aus-
prägten. Dementsprechend geht es bei der tabella-
rischen Übersicht auch nicht darum, jede Besonder-
heit und Ausnahme einzubeziehen. Vielmehr sollen
in erster Lime die Hauptgruppen des Bildtyps erfasst
und ein Eindruck von seiner Vielfalt vermittelt wer-
den. Dabei stellt sich heraus, dass die Künstler bei al-
ler Freiheit durchaus bestimmte Regeln des decorum
einhielten, wie weiter unten aufzuzeigen sein wird.
Zum Verständnis der erstellten Tabelle sind ei-
nige allgemeine Anmerkungen notwendig: Im Un-
terschied zu den Greisen, Männern, Knaben und
Greisinnen werden junge Frauen und Mädchen in
einer Gruppe zusammengefasst, da sich hier einer-
seits kaum signifikante Abweichungen hinsichtlich
der Typenbildung ergeben und andererseits das Ma-
terial an erhaltenen Tronien weiblicher Kinder re-
lativ beschränkt ist. Mit dem Ziel der Beschreibung
der Tracht der verschiedenen Figurentypen werden
charakteristische bzw. typbildende Elemente, jedoch
nicht alle Details der Kostüme verzeichnet. Auch
muss ein und dieselbe Tronie nicht alle jeweils auf-
69 Vgl. z.B. den Rembrandt zugeschriebenen Bärtigen alten
Mann mit goldener Kette in Kassel (Gemäldegalerie Alte
Meister) [Kat. 406].
70 Vgl. unten, Kap. IV. 1.1, 1.2.
 
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