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Hirschfelder, Dagmar
Tronie und Porträt in der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts — Berlin: Mann, 2008

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https://doi.org/10.11588/diglit.47555#0235

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Überblick zu Verbreitung und Erscheinungsformen

215

>antiek< auch zur Charakterisierung von Figuren ver-
wendet wurde, die von älteren, in der ersten Hälfte
des 16. Jahrhunderts tätigen Meistern stammen. So
verzeichnet das 1678 aufgenommene Inventar des
Amsterdamer Kaufmanns Herman Becker »een antijcx
tronietje van Lucas«107, womit Lucas van Leyden
(1494-1533) gemeint ist. Alte Bilder werden in Be-
ckers Inventar mit der Bezeichnung >out<, nicht aber
mit dem Wort >antiek< kenntlich gemacht.108 Hieraus
ist abzuleiten, dass Lucas’ Bild nicht allein deswegen
als »antijcx« bezeichnet wird, weil es sich um ein
altes Werk aus dem 16. Jahrhundert handelt. Viel-
mehr bezieht sich der Zusatz auf die im 17. Jahrhun-
dert verständlicherweise als >antiek< betrachtete Klei-
dung der dargestellten Figur. Da die Figuren auf den
Kupferstichen und Gemälden Lucas van Leydens in
Kostümen erscheinen, die der zu Lebzeiten des Ma-
lers aktuellen Mode entsprechen oder zumindest an
diese anknüpfen,109 ist davon auszugehen, dass auch
die in Beckers Inventar genannte Figur - unabhängig
davon, ob es sich um ein Porträt handelt oder nicht,
- entsprechend gekleidet war. Zutreffen würde die
Beschreibung in Beckers Nachlassverzeichnis z.B.
auf Lucas’ Stich eines Jünglings mit Federbarett und
Totenschädel in Halbfigur [Kat. 269, Taf. 57].
War das Kostüm von Tronien an die Tracht des
16. Jahrhunderts angelehnt, wurde es von den Zeit-
genossen zweifellos als >antiek< wahrgenommen.
Entsprechende Inventareinträge lassen also auf einen
bestimmten Tronietyp schließen. Allerdings konnten
auch Tronien, deren Tracht an fremdländische Klei-
dung erinnerte, als >antiek< bezeichnet werden, wie ein
Vermerk im Inventar Cornelis Aertsz. belegt: »Een
[durchgestrichen: Poolse trony] antyckse trony met

een pluym.«110 Offensichtlich war sich der Verfasser
des Inventars nicht sicher, ob es sich bei dem Kos-
tüm der Tronie um ein polnisches Gewand handelte
oder nicht. Seine Unsicherheit mag aus der Tatsache
resultieren, dass fremdländische und historisierende
Elemente bei der Gestaltung der Tracht von Tronien
häufig vermischt wurden. Konnte das Kostüm ge-
nauer spezifiziert werden, wurde dies jedoch in Nach-
lassverzeichnissen durchaus angegeben.111 Eindeutig
als Orientalen erkennbare Tronien etwa werden in
den Inventaren wiederholt als »Orient tronij«"2 bzw.
»Turx tronie«113 bezeichnet oder durch einen Zu-
satz wie »oostersch«114 charakterisiert. Auch wenn
Tronien mit Halsberge oder Harnisch ausgestattet
waren, wurde dies gelegentlich vermerkt. Lambert
Jacobsz. Inventar von 1637 nennt z.B. »Een soldaet
met swart haer een Iseren halskraegh sluijer orn den
hals nae Remb.«"3
Während das bisherige Augenmerk Fragen galt, wel-
che die Kostümierung von porträthaft wirkenden
Tronien betreffen, soll abschließend diskutiert wer-
den, in welcher Beziehung die Merkmale > Alter/Ge-
schlecht* und >Kostümierung< zum >Ausdruck< von
Tronien stehen. Besonders aufschlussreich ist da-
bei der Vergleich von Figuren in reicher Tracht mit
Tronien in einfacher, bäuerlicher, zeitgenössischer"6
oder bürgerlicher Kleidung sowie in >bunter Phan-
tasietracht*. Diese Arten der Kostümierung entspre-
chen motivisch primär der Kleidung des Bildperso-
nals mehrfiguriger Genrebilder. Dagegen erscheinen
Figuren, deren Ausstattung derjenigen von Tronien
in reicher Tracht ähnelt, vorrangig auf Historienbil-
dern. Dass ein enger Zusammenhang zwischen be-

107 Postma 1988, S. 17 (fol. 285v).
108 Vgl. u. a. Postma 1988, S. 17 (fol. 286v) (Inv. Herman Becker,
19.10.-23.11.1678): »Een out lantschap schilderij«; ebd., S. 18
(fol. 287r): »Een outschilderijtje daerin tobacq op een tafel-
bort geschildert«, »Drie oude siegte stucken schilderijen«.
109 Vgl. Blankert 1986/87, S. 25. Zum CEuvre Lucas van Ley-
dens vgl. u. a. Friedländer 1973; Vos 1978; Smiti-i 1992; Filedt
Kok 1996.
110 GPI 1994—2003, N-2302, Nr. 0037 (Inv. Cornelis Aertsz.,
Amsterdam 7.5.1638).
111 Vgl. oben, S. 211, Anm. 81.
112 GPI 1994-2003, N-3676, Nr. 0016 (Inv. Adriaen Cromme-
lingh, Haarlem 4.2.1662).
113 GPI 1994-2003, N-2176, Nr. 0032 (Inv. Lambert Hermansz.
Blaeuw, Amsterdam 15.5.1648). Vgl. auch GPI 1994-2003,
N-2071, Nr. 0138 (Inv. Aert Coninck, Amsterdam 13.4.1639):
»Een Turx tronytge sonder lijst«; GPI 1994-2003, N-4263,

Nr. 0023 (Inv. Hester van der Hindert, Haarlem 2.11.1679):
»Een tronytie sijnde een turck«; Strauss / Meulen 1979,
Dok. 1665/23, S. 559 (Inv. Frederick Alewijn, Amsterdam
18.12.1665): »1 dito turcxe tronij van Rembrant«, sowie oben,
Kap. II.3.3, S. 107.
114 Strauss / Meulen 1979, Dok. 1637/4, S. 144 (Inv. Lambert
Jacobsz., Leeuwarden 3.10.1637).
115 Straat 1928, S. 72, Nr. 10 (Inv. Lambert Jacobsz., Leeuwar-
den 3.10.1637). Vgl. auch ebd., S. 73, Nr. 20: »Een soldaet met
lanck blau haijr een swarte bonet een iseren halss craeghen ro-
sachtich cleet J. Lies«; Strauss / Meulen 1979, Dok. 1638/5, S.
151 (Inv. Cornelis Aertsz. van Bcycren, Amsterdam 7.5.1638):
»Een soldaet, gecopieert nae Rembrant.«
116 Mit zeitgenössischer* Kleidung ist hier bürgerliche Alltags-
kleidung oder die Kleidung niederer Volksschichten gemeint,
die auch auf Genrebildern vorkommt und nicht der auf Por-
träts getragenen Repräsentationstracht entspricht.
 
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