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Hirschfelder, Dagmar
Tronie und Porträt in der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts — Berlin: Mann, 2008

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https://doi.org/10.11588/diglit.47555#0240

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220

Verbreitung und Formen der Tronie

Die Verbreitung von Tronien, die von Malern des
bürgerlichen oder bäuerlichen Genres produziert
wurden und ein entsprechendes Erscheinungsbild
aufweisen, war insgesamt geringer als die Verbrei-
tung jener Tronien, deren Vorkommen vorrangig im
Werk von Historienmalern zu konstatieren ist. Da-
bei ist festzustellen, dass Meister, die nur gelegentlich
Historien schufen, primär aber als Genremaler tätig
waren und überwiegend Figuren in zeitgenössischer
Tracht malten, bei der Produktion von Tronien häu-
fig nicht etwa die Figurentypen ihrer Genrebilder
aufnahmen, sondern auf das Repertoire ihrer His-
torien bzw. auf Tronien anderer Historienmaler zu-
rückgriffen. Dies gilt beispielsweise für Pieter Vereist,
dessen Tronien von Greisen und Greisinnen in reicher
Phantasietracht einerseits an Werke Rembrandts und
seiner Schüler erinnern,21 andererseits mit den Figu-
rentypen von Verelsts eigenen Historien, nicht aber
mit den Bauern und Dorfbewohnern seiner Genre-
bilder zu verbinden sind.22 Verelsts Rezeption der
Werke Rembrandts und seines Umkreises erfolgte
offensichtlich gerade mit Blick auf die Historien-
und Troniemalerei.
Vor dem Hintergrund der dargelegten Beobach-
tungen scheint es wenig einleuchtend, Tronien ohne
signifikante Attribute generell als Manifestationen
der Genremalerei zu begreifen, wie dies die fehlende
ikonographische Festlegung der Figuren auf eine be-
stimmte Identität in gattungstheoretischer Hinsicht
nahe legen würde.23 Eher spricht die bisherige Un-
tersuchung dafür, Tronien in reicher Phantasietracht
der Historienmalerei zuzuordnen.24 Ein weiteres
wesentliches Ergebnis der Analyse der Tätigkeitsbe-
reiche von Tromemalern ist, dass es sich in der Regel
um Figurenmaler handelt, die Historien, Genrebilder
oder beides produzierten. Diese Einschätzung be-
21 Vgl. z. B. Verelsts Bärtigen alten Mann mit Barett (Köln, Ga-
lerie Edel) [Kat. 530, Taf. 109] mit Flincks Greis in Phanta-
sietracht (Privatbesitz) [Kat. 150],
22 Dies zeigt z. B. der Vergleich von Verelsts Kopf eines Greises
(Holz, bez.: P.Verelst 1648, 72,1 x 50 cm, Toulouse, Musee
des Augustins, Foto RKD, Den Haag) und seiner Alten Frau
mit Stock in der Hand von 1643 (unbekannter Besitz) [Kat.
528, Taf. 109] mit den Figuren des Tobias und seiner Frau in
Verelsts Darstellung von Tobias, seinen Vater heilend (Lein-
wand, 146 x 165 cm, Sammlung Hohenbuchau, Sumowski
1983-1994, Bd. 5, Kat. Nr. 2162a).
23 Vgl. oben, Kap. III.1.1, S. 118.
24 Vgl. hierzu unten, Kap. III.4.2.
25 Bikker 2005, Kat. Nr. 1, S. 51-54, Kat. Nr. 3, S. 58f., Kat. Nr.
4, S. 59-61, Kat. Nr. 5, S. 61-65, verzeichnet lediglich vier
Historienbilder als authentische Werke Drosts.

stätigt sich auch dann, wenn man all jene in Kapitel
III.3.1 aufgeführten Maler hinzunimmt, die bisher
nicht erwähnt wurden. Bei insgesamt 40 berücksich-
tigten Künstlern gehörten Historie und Genre nur
im Werk von vier Meistern nicht zu den wichtigsten
Arbeitsgebieten: Dies gilt für Willem Drost, Jacques
Rousseaux, David Bailly und Franchoys Elaut.
Die beiden erstgenannten Künstler hatten sich of-
fensichtlich auf das Malen von Tronien spezialisiert.
Drost schuf nur vereinzelt Historien, während Tro-
nien neben einigen Porträts den Hauptteil seines in
den Nördlichen Niederlanden entstandenen CEuvres
ausmachen.25 Rousseauxs künstlerisch wenig über-
zeugendes Werk ist zwar nicht sehr gut erhalten
und untersucht, auch er scheint jedoch überwiegend
Tronien hergestellt zu haben. Daneben kennen wir
einige halbfigurige Genre- und Historienbilder von
seiner Hand, jedoch kaum Kompositionen, die einen
größeren Umraum zeigen.26 Eine vergleichbare Kon-
zentration auf die Produktion von Tronien zeichnete
wohl auch das Schaffen Isaac de Joudervilles aus. Da
sein GEuvre jedoch sehr klein ist und neben vielen
Tronien auch eine Reihe von Genrebildern umfasst,
lässt sich nur schwer ermessen, ob tatsächlich von ei-
ner Spezialisierung auf die Troniemalerei auszugehen
ist.27
Die Zahl von zwei oder - Jouderville eingerech-
net - drei Troniespezialisten ist zu klein, um als hin-
reichendes Kriterium für die Klassifizierung von
Tronien als eigene Bildgattung gewertet zu werden.
Vielmehr ist zu vermuten, dass die Konzentration
der genannten Maler auf die Herstellung von Tronien
mit der Vorgehensweise von >Superspezialisten< zu
vergleichen ist: Diese schränkten ihr Bildrepertoire
auf eine einzige Bildaufgabe innerhalb einer Gattung
ein.28 Ein Stilllebenmaler etwa kann als Superspezialist
26 Zu Rousseauxs GEuvre vgl. Sumowski 1983-1994, Bd. 4, S.
2501-2505 u. Kat. Nr. 1675-1689, Bd. 6, S. 3534, Anm. 84,
Abb. S. 3573, Kat. Nr. 2427-2431.
27 Ein Inventar des Kunsthändlers Pieter van Melder, mit dem
Joudervilles Witwe Maria le Febure in zweiter Ehe verhei-
ratet war, enthält außerdem neben einer Tronie auch ein
Stillleben und eine Landschaft des Meisters, GPI 1994-2003,
N-2217, Nr. 0066, 0062, 0067 (Inv. Pieter van Melder / Maria
le Febure, Amsterdam 1.10.1653). Vgl. auch Bredius 1915-
1922, Bd. 6, S. 1971, Nr. 75, 71, 76. Zum GEuvre Joudervilles
vgl. Wetering 1983; Sumowski 1983-1994, Bd. 2, S. 1434f. u.
Kat. Nr. 940-953, Bd. 5, Kat. Nr. 2104-2107, Bd. 6, Kat. Nr.
2326a-2332; Wetering 1986c, S. 76-87.
28 Goosens 2001, S. 120f.
 
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