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Hirschfelder, Dagmar
Tronie und Porträt in der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts — Berlin: Mann, 2008

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https://doi.org/10.11588/diglit.47555#0245

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Stellung der Tronie innerhalb der Gattungen

225

das Ereignis einer Geschichte noch eine bestimm-
te Handlung dargestellt ist - der Gattung Historie
zuzuordnen. Im jüngsten einschlägigen Lexikon, das
der Historienmalerei einen umfassenden Artikel
widmet, wird diese umrissen als »the depiction of se-
veral persons engaged in an important or memorable
action, usually taken from a written source.«50 In ver-
gleichbarer Weise definiert auch Albert Blankert hol-
ländische Historienbilder des 17. Jahrhunderts und
schließt dementsprechend »paintings which depict
only a single static figure«51 aus seinen Überlegungen
zur Gattung aus. Gleichwohl verweist er in einer
Anmerkung auf die siebte Regel in Pieter de Grebbers
»Regulen, welcke by een goet Schilder en Teyckenaer
geobserveert en achtervolght moeten worden« (1649).
Dort heißt es: »En soo de Historij maer een beelt
vereyscht, sult ghy sien door het bywerck bindingh
te maecken.«52
Bereits van Mander erwähnt in seinem Schilder-
boek, dass es nicht nur die Möglichkeit gebe, »co-
piose«, sondern auch »eensame«53 Historien zu ma-
len. Mit Letzteren meint der Autor offensichtlich
ganzfigurige Darstellungen mit nur einer oder zwei
Figuren, die meist ein bestimmtes Ereignis bzw. den
Höhepunkt einer Geschichte veranschaulichen. Dies
geht aus den verschiedenen Beispielen hervor, die van
Mander als Bildsujets >einsamer Historien< nennt.
Hierzu zählt er unter anderem das Opfer Abrahams.
Für entsprechende Werke empfiehlt der Autor: »Dus
machmen eensaem History vermeeren.«54 Eine ent-
sprechende Erweiterung werde durch Ausschmü-
ckung mit Beiwerk bzw. das Erfinden und Hinzufü-
gen zusätzlicher (allegorischer) Figuren erreicht.55
Einen konkreten Hinweis darauf, dass der Autor
auch isolierte Halbfiguren als Historienbilder versteht,
enthält van Manders Grondt der Edel vry Schilder-
const nicht. Anders verhält sich dies bei Samuel van
Hoogstraten, der mehr als siebzig Jahre später in sei-
ner Inleydtng tot de Hooge Schoole der Schilderkonst
(1678) in enger Anlehnung an die genannten Passagen
bei van Mander bezüglich der Bereicherung von Ein-
figurenbildern Folgendes schreibt:

»En als ‘t gebeurde, dat het voornemen van maer een eenich half
of geheel beeid te vertoonen, de zingeving quam te beletten, zoo
wisten d’ouden nochtans, door ‘t toedoen van eenich weynich
bywerk, de toezienders haer beeid te doen kennen. Nu wederom,
schoon het uitbeelden van een eenige figuer, en dezelve tot volko-
menheit te brengen, een rechtschapen meesterstuk is, zoo gebeurt
het nochtans wel, dat de gelegenheit en plaetse vereischt, dat een
eenzame Flistorie als door Zinnebeeiden verrijkt wort.«56
Auch van Hoogstraten bezeichnet ein Bild mit nur
einer Figur van Mander folgend als >einsame Histo-
rie<, bezieht diesen Begriff jedoch nicht nur auf ganz-
figurige Bilder, sondern nennt explizit auch die Halb-
figur als Gegenstand, der durch Zugaben kenntlich
gemacht werden könne. Darüber hinaus versäumt
van Hoogstraten es nicht zu betonen, dass bereits die
überzeugende Darstellung einer einzelnen Figur ein
Meisterstück sei. Einschränkend fügt er hinzu, dass
es >unter bestimmten Umständen< jedoch erforder-
lich sein könne, eine solche mit Beiwerk auszustatten.
Ganz offensichtlich rechnete der Autor also damit,
dass eine entsprechende Ausschmückung ebenso un-
terbleiben und ein Maler sich einzig auf die Darstel-
lung der Figur, sei es eine Ganz- oder eine Halbfigur,
konzentrieren konnte. Eine Figur ohne Beiwerk ver-
steht van Hoogstraten ebenfalls als »eenzame Histo-
rie« bzw. als einfiguriges Historienbild.
Van Hoogstratens Ausführungen lassen nicht
nur den Schluss zu, dass Bilder, die eine einzelne
Halbfigur zeigen, nach zeitgenössischem Verständ-
nis durchaus zur Historienmalerei gezählt werden
konnten. Vielmehr deutet sich in der zitierten Passa-
ge die Möglichkeit an, dass dies gegebenenfalls auch
für Figuren galt, die nicht unmittelbar als bestimmte
antike, biblische oder mythologische Helden, andere
verdienstvolle Persönlichkeiten oder allegorische Per-
sonifikationen zu erkennen waren.
Bekanntlich beschäftigt sich die Kunsttheorie des
17. Jahrhunderts vorrangig mit der Historienmale-
rei als der ehrenvollsten und ranghöchsten Aufgabe
der Malerei. Zwar bedeutet dies für die Genremale-
rei nicht, dass »es keinen Konsens im Hinblick auf

50 DA 1996, Bd. 14, S. 581-589, hier S. 581. Vgl. auch Brennink-
meyer-de Rooij 1984, S. 65; Gaehtgens 1996, S. 16-18, 39f.
51 Blankert 1980/8la, S. 19f.
52 Zit. nach Thiel 1965, S. 126 (Hervorhebung von der Verf.).
53 Mander / Miedema 1973, Bd. 1, S. 136 (fol. 17v), Str. 27. Vgl.
hierzu Mander / Miedema 1973, Bd. 2, S. 474, Nr. V 27c-d.
Vgl. außerdem B. Gaehtgens in Gaehtgens / Fleckner 1996,
S. 140f.

54 Mander / Miedema 1973, Bd. 1, S. 147 (fol. 20r), Str. 62.
55 Mander / Miedema 1973, Bd. 1, S. 147f., 151 (fol. 20r-21r).
Str. 62, 65-68. Vgl. hierzu Mander / Miedema 1973, Bd. 2, S.
486, Nr. V 65a-b, V 65d, S. 487, Nr. V 67a.
56 Hoogstraten 1678, S. 89f. (Hervorhebung von der Verf.).
 
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