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Hirschfelder, Dagmar
Tronie und Porträt in der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts — Berlin: Mann, 2008

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https://doi.org/10.11588/diglit.47555#0263

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Der Handel mit Tronien

243

Ein weiterer Aspekt, der die Werke der im letzten
Drittel des 17. Jahrhunderts tätigen Meister deutlich
von einem großen Teil der vor dieser Zeit geschaf-
fenen Tronien unterscheidet, besteht in der Malwei-
se. Diese erreicht nicht den für viele Tronien cha-
rakteristischen Grad der Freiheit; vielmehr zeichnen
sich die Gemälde der betreffenden Künstler häufig
durch einen feinmalerischen Stil aus.92 Eine entspre-
chende Maltechnik ist für Tronien zwar nicht aus-
geschlossen, wie Werke Dous und van Mieris’ ver-
deutlichen [Kat. 88, Taf. 15, Kat. 89, Kat. 349, Taf.
75]. Geht man jedoch davon aus, dass in den letzten
Jahrzehnten des Jahrhunderts viele Maler (und Käu-
fer) die in der Kunsttheorie vorgetragene Ablehnung
einer >Manier< teilten, in der sich die individuelle
Handschrift des Künstlers anstelle geforderter Na-
turnachfolge manifestiere,93 trug dies vermutlich zu
einem verminderten Interesse an Tronien in der Art
bei, wie sie Aert de Gelder noch bis ins frühe 18.
Jahrhundert hinein malte [Kat. 163, Taf. 34].
Der Rückgang von Malern, die sich mehr als nur
sporadisch mit der Produktion von Tronien befass-
ten, ist zweifellos vor dem Hintergrund der Verände-
rungen des Geschmacks und der Kunstanschauungen
des Publikums und der Künstler zu beurteilen.94 Die
komplexen Ursachen für den Wandel der Sehge-
wohnheiten und künstlerischen Vorlieben der Maler
und Käufer können im Rahmen dieser Arbeit aller-
dings nicht näher untersucht werden. Unabhängig
hiervor dürften auch Umwälzungen auf dem Kunst-
markt für die verringerte Produktion von Tronien
von Belang gewesen sein:
Quantitative Analysen zur Anzahl der im 17. Jahr-
hundert tätigen Maler haben ergeben, dass diese nach
1660 drastisch absank.95 Montias zeigt, dass der Anteil
jener in Inventaren genannten Maler, die noch lebten
bzw. aktiv waren, in Amsterdam im Lauf des Jahr-
hunderts zurückging, während die Bilder bereits ver-
storbener Künstler in den Bestandslisten zunahmen.96

Nach 1680 machen Werke lebender Maler nur noch
13,8% gegenüber 86,2% der Arbeiten >alter Meisten
aus. Angesichts der Tatsache, dass die in den Inven-
taren verzeichneten Werke in Amsterdam durch-
schnittlich 10 oder 11 Jahre vor ihrer Auflistung ge-
kauft wurden,97 ist damit zu rechnen, dass der Ankauf
zeitgenössischer Bilder bereits in den siebziger Jahren
stark eingeschränkt war.98 Marten Jan Bok nimmt an,
dass der Beginn des dritten Englischen Krieges (1672—
74), die französische Besetzung im Jahr 1672 und im
Zuge dessen der Einbruch des Amsterdamer Aktien-
marktes, der eine verminderte Kaufkraft vieler Bürger
zur Folge hatte, zu einem Kollaps des Kunstmarktes
führte.99 Die Preise für Bilder fielen so stark, dass viele
Maler nicht mehr rentabel produzieren konnten und
daher vom Markt verdrängt wurden. Darüber hinaus
macht Bok ein »inherent probleem van de Neder-
landse kunstmarkt in de zeventiende eeuw«100 für den
Rückgang der Anzahl aktiver Meister nach 1660 ver-
antwortlich: Die Nachfrage nach Bildern musste stets
stärker wachsen als das aufgrund der langen Lebens-
dauer von Gemälden immer größer werdende Angebot
von >second-hand<-Bildern auf dem Markt, damit die
Maler ausreichende Verdienstmöglichkeiten erhielten.
Stagnierte die Nachfrage, so geschah dies auf Kosten
der neuen Werke, da es im Verhältnis mehr alte Bilder
gab und diese zu niedrigeren Preisen verkauft werden
konnten. Das Angebot alter Gemälde konnten die
Künstler nicht selbst kontrollieren, da dieses davon
abhing, in welchem Umfang Bilder aus Nachlässen
oder Insolvenzverkäufen, die sich in finanziell schwie-
rigen Zeiten häuften, auf den Markt gelangten. Bok
konstatiert, dass der Massenmarkt für preisgünstige
Bilder nach 1672 verloren ging und sich nach kurzer
Erholungsphase nur die Spitze des Kunstmarktes re-
generierte. Besonders wohlhabende Sammler konnten
weiterhin teure Bilder talentierter Meister kaufen, was
laut Bok auch das Fortleben der Feinmalerei erkläre.
Die veränderte Situation bedeutete nicht zuletzt, dass

92 Vgl. Kat. Leiden 1988, bes. S. 16; Kat. Amsterdam 1989/90.
93 Vgl. Lairesse 1740, Bd. 1, S. 324: »Men moet zieh niet laaten
misleiden door deeze of geene manier: volgt alleenlyk de Na-
tuur, zo gy de Konst wil voldoen. Weg met futselen, vroeten,
en morssen: tast uw werk met een kloeke hand aan. Evenwel
niet op zyn Rembrands of Lievensz., dat het sap gelyk drek
längs het Stuk neer loope [...].« Vgl. auch ebd., Bd. 1, S. 7-9,
Bd. 2, S. 6, 17. Eine vergleichbare Auffassung vertritt bereits
Angel 1642, S. 53. Vgl. außerdem zur klassizistischen Ableh-
nung einer (rauen) Manier Emmens 1968, S. 77, 91, 103, 146.
94 Vgl. auch Kap. V.3.1,S. 337-340.
95 Vries 1991, S. 260-264, Tab. 2, S. 273; Bok 1994, S. 99-104.

Bereits Houbraken 1753, Bd. 2, S. 130, gibt als Blütezeit der
niederländischen Malerei die Periode zwischen 1560-1660
an.
96 Montias 1991, S. 343, sowie Tab. 9, S. 363. Vgl. auch Montias
1987, S. 463f.
97 Vgl. oben, S. 241, Anm. 81.
98 Der Anteil der Bilder zeitgenössischer Künstler beträgt
1670-79 noch 41,9%, >alte Meisten bringen es auf 58,1%,
Montias 1991, Tab. 9, S. 363.
99 Bok 1994, S. 124. Vgl. zum Folgenden Bok 1994, S. 120—
130.
100 Bok 1994, S. 125.
 
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