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Hirschfelder, Dagmar
Tronie und Porträt in der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts — Berlin: Mann, 2008

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https://doi.org/10.11588/diglit.47555#0320

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292

Die wechselseitige Beeinflussung von Porträt und Tronie

wie auch Rembrandt selbst, auf dessen Radierung
seines programmatischen Doppelbildnisses [Kat. 474,
Taf. 100] von 1636.132
Es ist schwer zu sagen, wann genau die ersten Kostüm-
bildnisse bürgerlicher Auftraggeber in Tronie-Manier
entstanden und wer sie anfertigte. Vermutlich ist der
Beginn dieser Entwicklung in Amsterdam im Umfeld
Rembrandts, das heißt bei dessen Schülern und Jacob
Backer, in der zweiten Hälfte der dreißiger Jahre zu
suchen. Hier jedenfalls ist nach 1640 das größte Auf-
kommen an Kostümbildnissen zu verzeichnen. Auch
greift eines der ersten sicher belegten bürgerlichen
Bildnisse in Tronietracht, Abraham de Vries’ 1639 ge-
maltes Porträt Adriaen Vroesens (ca. 1610/15-1669)
(Rotterdam, Historisch Museum) [Kat. 541, Taf. XXI,
111], motivisch deutlich auf rembrandteske Vorbilder
zurück. Hierfür kommen zwei Erklärungsmöglich-
keiten in Frage: Entweder stützte sich de Vries auf
gemalte oder radierte, phantasievoll kostümierte
Selbstbildnisse Rembrandts oder seiner Schüler, oder
aber er kannte entsprechende Kostümbildnisse bürger-
licher Auftraggeber, die noch vor oder im Jahr 1639 im
Rembrandtumkreis entstanden waren.
Dass weitere Ende der dreißiger Jahre produzierte
Auftragsporträts in Tronie-Manier bisher nicht iden-
tifiziert werden konnten, bedeutet nicht, dass es sie
nicht gab. Rembrandt selbst scheint entsprechende
Aufträge in den dreißiger und auch in den vierziger
Jahren allerdings nicht oder jedenfalls nicht in nen-
nenswertem Umfang ausgeführt zu haben. Offenbar
überließ er dies zunächst seinen Schülern und ande-
ren Amsterdamer Porträtmalern.133
2.2.4 Die Motive der Auftraggeber und
ihre Aufwertung im Kostümporträt
Die grundsätzliche Feststellung, dass sich niederlän-
dische Bürger auf ihren Bildnissen seit dem vierten
Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts nicht selten in einer
132 Zum programmatischen Charakter der Radierung vgl. Kat.
London / Den Haag 1999/2000, Kat. Nr. 46, S. 162.
133 In diesem Zusammenhang beachtenswert ist, dass Rembrandt
nach 1641 bis zu Beginn der fünfziger Jahre auch kaum Por-
trätaufträge für formelle Bildnisse ausführte, vgl. Schwartz
1987, S. 226; Tümpel 1986, S. 217, 225, 235.
134 Zu Form und Inhalt des Buches vgl. Kettering 1983, S. 75-
77; Gordenker 2001, S. 24; Veldman 2001, S. 328-331.
135 Zit. nach Gordenker 2001, S. 98, Anm. 211. Vgl. auch Ket¬
tering 1983, S. 153, Anm. 72.

mit Tronien vergleichbaren Weise darstellen ließen,
zieht die Frage nach sich, welche Beweggründe die
Auftraggeber zur Wahl dieser Form des Porträts
veranlassten und welche Vorstellungen sie daran
knüpften. Die Antwort hierauf ist vielschichtig und
geht über die Beurteilung des Phänomens als mo-
dische Erscheinung oder Resultat eines bestimmten
Zeitgeschmacks deutlich hinaus.
Zeitlosigkeit
Im Jahr 1640, also in der Zeit, als die Mode des Kos-
tümporträts in Tronie-Manier aufkam, publizierte
Crispijn van de Passe sein bekanntes Porträtbuch
mit dem Titel Les Vrais Pourtraits de quelques unes
des plus grandes Dames de la Chrestiente, desguisees
en Bergeres.134 Das Werk enthält Porträtstiche hoch-
rangiger adliger, aber auch bedeutender bürgerlicher
Frauen in pastoraler Verkleidung [Kat. 369, Abb. 62].
Den viel zitierten Grund für die Präsentation der Dar-
gestellten als Hirtinnen nennt van de Passe im Vorwort
des Buches: »Mais, comme la mode et les habits sont si
changents, et mesmes avec le temps semblent presque
ridicules, j’ay trouve bon de les habiller en forme de
Bergeres [,..].«135 Van de Passe zufolge bargen Por-
träts in zeitgenössischer Tracht also die Gefahr, lächer-
lich und inadäquat zu wirken, sobald die Kleidung der
Dargestellten außer Mode gekommen war. Letzteres
aber geschah nach Auffassung des Autors sehr schnell.
Um diesem Problem zu begegnen, kostümiert er die
in seinem Porträtbuch abgebildeten Damen als Hir-
tinnen - eine Möglichkeit der Verkleidung, die van de
Passe offensichtlich als zeitlos betrachtet.
Der rasche Wandel, dem die zeitgenössische
Mode unterworfen war, wird auch in der kunsttheo-
retischen Literatur der zweiten Jahrhunderthälfte
und des frühen 18. Jahrhunderts, etwa von Autoren
wie Rogers de Piles in seinen Conversations sur la
Connoissance de la Peinture (1677), Andre Fehbien
in seinen Entretiens (1685) und Gerard de Lairesse
in seinem Groot Schilderboek (1707),136 wiederholt
136 Piles 1677, S. 63-65; Felibien, Andre: Entretiens sur les Vies
et les Ouvrages des plus Excellens Peintres Anciens et Modernes.
Paris 1685, S. 748f., zit. nach Gordenker 2001, S. 24, S. 98,
Anm. 207; Lairesse 1740, Bd. 1, S. 195: »Wy zien door de
dagelyksche ondervinding, hoe onvolmaekt-en gebrekkelyk
de Mode is. Ieder dag brengt zyne veranderingen mede.« Für
weitere zeitgenössische Stellungnahmen hinsichtlich des ra-
schen Modewandels vgl. Marly 1978, S. 749; Marly 1980, S.
268f.; Gordenker 2001, S. 22-25.
 
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