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Hirschfelder, Dagmar
Tronie und Porträt in der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts — Berlin: Mann, 2008

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https://doi.org/10.11588/diglit.47555#0328

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Die wechselseitige Beeinflussung von Porträt und Tronie

Kostümporträts als Ausdruck bürgerlicher
Selbstbehauptung gegenüber dem Adel
Wie ist es nun zu erklären, dass Kostümporträts in
Tronie-Manier einerseits vom Interesse bürgerlicher
Auftraggeber am Prestige des erblichen Adels zeu-
gen, aber andererseits die Formensprache der hö-
fischen Porträtmalerei nicht direkt übernehmen?
Mit Blick auf das 17. Jahrhundert wurde die po-
litische, soziale und ökonomische Entwicklung des
holländischen Patriziats von Daniel J. Roorda und in
der Folge von anderen Historikern als Prozess der
>Aristokratisierung< und damit als zunehmende Ori-
entierung an adligen Herrschaftsprinzipien, Lebens-
formen und -idealen beschrieben.196 In verstärktem
Maße tritt die entsprechende Entwicklung diesen Au-
toren zufolge erst nach 1650 zutage. Roorda geht so-
gar davon aus, dass die holländischen Regenten in der
ersten Jahrhunderthälfte ein primär von bürgerlichen
Werten geprägtes Leben führten,197 den »character of a
burgher elite« jedoch nach 1650 verloren, »adopting
a more purely seigniorial style of life.«198 Henk F.K.
van Nierop zeigt allerdings auf, dass der Prozess ei-
ner >Aristokratisierung< des Patriziats nicht erst nach
1650 einsetzte, da holländische Bürger bereits in der
ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts darum bemüht wa-
ren, adlige Besitzungen und Titel zu erwerben.199 Zu-
gleich betont die neuere historische Forschung, dass
sich in den Nördlichen Niederlanden im 17. Jahr-
hundert mit Blick auf die Zeit vor der Revolte deut-
liche Kontinuitäten bezüglich der gesellschaftlichen
Stellung des Adels wie auch der Akzeptanz aristo-
kratisch definierter Herrschaftsansprüche, Werte
und Ideale feststellen lassen.200
Anhand konventioneller Porträts von Amster-
damer Bürgern und des Vergleichs dieser Bilder mit
196 Vgl. Roorda 1961, bes. S. 38f.; Roorda 1964, bes. S. 119-
131; Faber 1970; Dijk / Roorda 1971; Spierenburg 1981,
S. 19-30; Schmidt 1986, S. 65-84; Price 2000, S. 167-176;
Wieseman 2002, S. 94. Vgl. außerdem bereits Jansma 1953, S.
138f. Kritisch zur These der >Aristokratisierung< des Patriziats
vgl. Kooijmans 1987; Roodenburg 2004, S. 39-41.
197 Roorda 1964, bes. S. 119f.
198 Roorda 1964, S. 127. Zur Auffassung insbesondere der äl-
teren kunsthistorischen Forschung, in der als besonders
realistisch bewerteten Malerei der Nördlichen Niederlande
spiegele sich der essentiell bürgerliche Charakter der hollän-
dischen Gesellschaft vgl. Woodall 1997, S. 76.
199 Nierop 1993, S. 212-217.
200 Vgl. Schmidt 1986, S. 68; Deursen 1991, S. 155f.; Ladema¬
cher 1993, S. 202f.; Price 1994, S. 10, 113, 124; Price 1995,
bes. S. 83, S. 103-107.

darauf verfassten Gedichten des Jan Vos (1610-1670)
verdeutlicht Joanna Woodall, dass aristokratisch
geprägte Wertvorstellungen hinsichtlich der gesell-
schaftlichen, politischen und sozialen Stellung sowie
der damit verbundenen Darstellungswürdigkeit des
Einzelnen in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts
auch für die Auftraggeber bürgerlicher Porträts ver-
bindlich blieben.201 * Die von der Autorin gewählten
Beispiele machen deutlich, dass die bürgerliche Eli-
te traditionelle Konzepte von Herrschaft und Adel
nicht grundsätzlich ablehnte, sondern bestrebt war,
sich innerhalb einer hierarchisch strukturierten Ge-
sellschaft als gleichberechtigte Führungsschicht ne-
ben dem Adel zu behaupten, deren Herrschaftsan-
spruch sie teilte. So greifen beispielsweise die von
Nicolaes Eliasz. (gen. Pickenoy) 1636 gemalten Bild-
nisse Cornelis de Graeffs (1599-1664) und seiner Frau
Catharina Hooft (1618-1691) [Kat. 130-131, Taf. 27]
(beide in Berlin, Gemäldegalerie) Darstellungskon-
ventionen und -motive auf, die mit höfischen Por-
träts assoziiert wurden:
»The presentation of steadily illuminated, full-length figures in
immobile courtly poses within a grand settmg of columns and
curtains resembles portraits of nobility and even royalty. Com-
pare Catharine Hooft’s portrait with, for example, Gerrit van
Honthorst’s Elizabeth Stuart, Queen of Bohemia102 [...]. Given
that De Graeff and Hooft were among the leading couples in
Amsterdam, this kind of similarity is unlikely to have been
arbitrary or accidental. It was, rather, a means of characterising
the sitters as noble by visually identifying them with appropri-
ately elevated models or precedents«.203
In einem Gedicht, das Jan de Vos auf zwei Bildnis-
se de Graeffs und seiner Frau Catharina verfasst hat,
lobt der Dichter die Tugend und die Reputation der
Dargestellten und hebt insbesondere de Graeffs In-
201 Vgl. auch Raupp 1984, S. 70-95. Zur Darstellungswürdig-
keit im Bildnis nach zeitgenössischem Verständnis vgl. oben,
Kap. II.2.2, S. 84, Kap. IV.1.1, S. 249.
202 Gerard van Honthorst, Elizabeth Stuart, Königin von Böh-
men, in Ganzfigur mit Krone und "Zepter, Leinwand, 112 x
143 cm, bez.: GHonthorst 1631, Heidelberg, Kurpfälzisches
Museum, Judson / Ekkart 1999, Kat. Nr. 336, Pl. 217.
203 Woodall 1990, S. 42f. Vgl. auch Woodall 1997, S. 86-90.
Zu den Bildnissen de Graeffs und Hoofts vgl. jüngst Kat.
Amsterdam 2002/03, Kat. Nr. 21a, 21b, S. 118f.; Kat. Lon-
don / Den Haag 2007/08, Kat. Nr. 47/48, S. 176f. Zum Ty-
pus des ganzfigurigen Porträts holländischer Bürger des 17.
Jahrhunderts vgl. u.a. auch Kat. Washington / London /
Haarlem 1989/90, Kat. Nr. 17, S. 178; Kat. Berlin / Am-
sterdam / London 1991/92a, Kat. Nr. 17, 18, S. 171-175;
Berger 2000, S. 265-301; Dudok van Heel 2002/03.
 
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