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Hirschfelder, Dagmar
Tronie und Porträt in der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts — Berlin: Mann, 2008

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https://doi.org/10.11588/diglit.47555#0343

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Inhaltliche Bedeutung und exemplarische Funktioi

315

Freilich besteht auch die Möglichkeit, dass insbe-
sondere mit einer Figur wie Lesires Jüngling keine
positiven, sondern negative Eigenschaften oder Ver-
haltensweisen - etwa Stolz, Hochmut oder Leichtfer-
tigkeit - assoziiert wurden, die holländische Bürger
mit dem Adel verbanden.44 Die Sünde des Hochmuts
wird schon von Cesare Ripa als typische Eigenschaft
von Höflingen beschrieben.45 Ferner gibt Ripa in sei-
ner Iconologia an, dass die Personifikation der »Ho-
vaerdy« jung dargestellt werden solle, da »het den
Iongelingen eygen is, eergierigh, groots en hovaerdigh
te zijn.«46 Auch war die Figur des Soldaten als sol-
che traditionell negativ besetzt - man denke etwa an
den von den Utrechter Caravaggisten in den Nörd-
lichen Niederlanden verbreiteten Typus des sich in
Bordellen und Wirtshäusern vergnügenden Soldaten,
der in aller Regel als exemplum sündhaften Verhal-
tens fungiert.47 Wie dieser werden auch Tronien, die
einen Soldaten vorstellen, in der Forschung gele-
gentlich mit der Laster-Ikonographie in Verbindung
gebracht.48 Peter Hecht und Lyckle de Vries z.B.
interpretieren Frans van Mieris’ Soldaten (ehemals
Dresden, Gemäldegalerie Alte Meister) [Kat. 350,
Taf. 75] als Personifikation des Zornes.49 Dies liegt
angesichts der weit aufgerissenen Augen des Mannes
durchaus nahe, da eine ebensolche Kennzeichnung
auch bei der in der Regel als Krieger(in) dargestell-

ten Ira auf druckgraphischen Darstellungen des 16.
und 17. Jahrhunderts begegnet.50 In der Regel sind
Tronien, die wie Repräsentationen der Zn? Rüstungs-
elemente wie Harnisch oder Halsberge tragen, aller-
dings weder mit geweiteten Augen dargestellt noch
lässt sich auf andere Weise ein unmittelbarer Zusam-
menhang mit Laster- oder Temperamente-Darstel-
lungen herstellen [vgl. Kat. 59, Taf. 11, Kat. 96, Taf.
18, Kat. 134, Taf. XVII, 29, Kat. 389, Taf. 82], Zu be-
tonen ist darüber hinaus, dass sich kriegerisch kostü-
mierte Tronien, die durch Accessoires wie Goldket-
ten und Juwelenschmuck nobilitiert sind, deutlich
vom Typus des einfachen Soldaten abheben, der in
den Genre- und Historienbildern der Utrechter Ma-
ler figuriert.51
Sucht man weiter nach Tronien, die negativ konno-
tiert waren, so springen weibliche Figuren in freizü-
giger Kleidung und mit koketter oder lasziver Ges-
tik und/oder Mimik ms Auge. Die entsprechenden
Werke, für die Jacob Backers Junge Frau mit Fächer
und Federschmuck im Haar (unbekannter Besitz)
[Kat. 18, Taf. 4] ein gutes Beispiel ist,52 waren zwei-
fellos als Kurtisanendarstellungen intendiert und sind
damit in malo zu lesen.53 Schwer zu beantworten ist
allerdings die Frage, ob Figuren wie Bois auf einer
Fensterbrüstung lehnende Frauen in reichen Gewändern

44 Zur kritischen Haltung gegenüber Verhalten und Auftre-
ten Adliger in der frühen Neuzeit vgl. Dewald 1996, S.
33-36. Vgl. auch Wijsenbeek-Olthuis 1998, S. 55; Sluij-
TER2001, S. 190f.
45 Ripa / Pers 1644, S. 103: »De Cortegianen of Hovelingen
die sich roemen dat zy op den hooghsten trap, en de
meeste gunste in ‘t Hof hebben, zijn van ydele Eere op-
geblasen, denckende dat zy de meeste ter Werreld zijn, en
dat haere naeme vermaert en bekent is van de Indiaenen
af totte Mauritaenen toe.«
46 Ripa / Pers 1644, S. 203.
47 Vgl. Dekiert 2003, bes. S. 261-266.
48 Vries 1989, S. 191f., deutet Rembrandts Brustbild eines
Mannes mit Federbarett und Halsberge (USA, Privat-
besitz) [Kat. 381, Taf. IV, 80] als Sinnbild der Sünde des
Stolzes, ohne allerdings Vergleichsbeispiele anzuführen,
die vorbildlich gewirkt haben könnten.
49 Hecht 1986, S. 180; Vries 1989, S. 190f.; P. Hecht in Kat.
Amsterdam 1989/90, Kat. Nr. 19-20, S. 105. Diese Ein-
schätzung teilt Jongh 2006, S. 59.
50 Zur Darstellungstradition der Todsünde des Zornes vgl.
Blöcker 1993, bes. S. 56f., 79-86; Lütke Notarp 1998,
S. 130-139. Auch der Typus des Cholerikers erscheint
auf Darstellungen der Temperamente meist als gerüste-
ter Krieger, Lütke Notarp 1998, S. 118-130. Auf einem
Stich Crispijn de Passes I. nach Dirck van Baburen {Cho¬

lerisches Temperament aus einer Serie der vier Tempera-
mente, Kupferstich, 21 x 14,6 cm, bez.: Babeuren pinxit
Crispin de pas fe: et exj wird der Typus des Soldaten mit
Federbarett, Halsberge, gestreiften Ärmeln und Schwert,
also in einer mit dem Kostüm von van Mieris’ Soldat ver-
gleichbaren Tracht, mit dem cholerischen Temperament
in Verbindung gebracht. Vgl. Lütke Notarp 1998, S. 120,
126, Abb. 71, S. 125, Kat. Nr. 71, S. 350.
51 Als wichtige Ausnahme ist Rembrandts Lachender Sol-
dat in Den Haag (Mauritshuis) [Kat. 392, Taf. V, 83] zu
nennen, dessen ungezügeltes Lachen auf einen negativen
Charakter verweist und an die Trunkenbolde der Ut-
rechter Caravaggisten erinnert.
52 Vgl. auch Kat. 55, Taf. 10, Kat. 97, Taf. 19, Kat. 217, Taf.
46.
53 Zur Interpretation holländischer Kurtisanendarstellun-
gen vgl. jüngst Dekiert 2003, bes. S. 171-183. Vgl. außer-
dem oben, Kap. II. 1.7, S. 76, Anm. 264, sowie folgende
Inventareinträge: GPI 1994-2003, N-2296, Nr. 0072 (Inv.
Jan Arentsz. van Naerden, Amsterdam 11.12.1637): »Een
cortesaen-trony f. 2:—:—«; Bredius 1915-1922, Bd. 2, S.
604, Nr. 108 (Inv. Dirck Aertz., Amsterdam 11.12.1644):
»Twee tronien, cortisanen, op doeck, gerolt«; Strauss /
Meulen 1979, Dok. 1656/12, S. 349 (Inv. Rembrandt,
Amsterdam 25.-26.7.1656): »Een Cortisana haer palle-
rende vanden selven [Rembrandt]«.
 
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