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Hirschfelder, Dagmar
Tronie und Porträt in der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts — Berlin: Mann, 2008

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.47555#0347

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Inhaltliche Bedeutung und exemplarische Funktion

319

stellten vor Augen führen sollten. Wie bereits aus-
führlich dargelegt worden ist, diente das reiche Kos-
tüm vielmehr dazu, die Porträtierten in bestimmter
Weise zu nobilitieren.86 Diese Feststellung ist auch
für die Beurteilung von Tronien in fiktiver Tracht von
Belang. Waren diese nämlich als Phantasiebildnisse
konzipiert, ähnelten sie nicht nur ihrem Erschei-
nungsbild nach Kostümbildnissen in Tronie-Manier,
sondern zielten auch auf eine vergleichbare Wirkung.
Die Tatsache, dass Künstler ihre Kostümporträts mit
denselben Accessoires ausstatteten wie ihre Tronien,
spricht eindeutig dagegen, dass die entsprechenden
Elemente bei Verwendung im porträthaft wirkenden
Einfigurenbild eine negative Lesart provozierten. Selbst
wenn der im 17. Jahrhundert allgegenwärtige Vanitas-
Gedanke letztlich mit jeder Form der Prachtentfaltung
und Zurschaustellung von Reichtum und Luxus in
Verbindung gebracht werden konnte,87 ist es nicht
angemessen, hierin die zentrale Bedeutung nicht nur
der Tronien von Greisen und Greisinnen, sondern
reich gekleideter Tronien im Allgemeinen zu sehen.
Eine solch eindimensionale Interpretation wird der
Rezeption der Werke durch den zeitgenössischen
Betrachter nicht gerecht und lässt außer Acht, dass
die Bedeutung entsprechender Motive stets kontext-
gebunden war.
Tronien ohne ikonographische Festlegung veran-
schaulichten offensichtlich bestimmte abstrakte In-
halte. Diese waren zum Teil sehr allgemeiner Natur,
etwa wenn Aspekte wie Vergänglichkeit, Jugend,
Alter, Schönheit oder Exotik zum Thema gemacht
wurden. Viele Tronien verkörperten darüber hinaus
bestimmte positive oder negative Eigenschaften bzw.
Lebenshaltungen des Menschen. In positiver Hinsicht
konnten dies Tugenden und Werte wie Würde, Fröm-
migkeit, Demut, Gelehrsamkeit, Klugheit, Weisheit,
Mut, Tapferkeit, Stärke und dergleichen sein. In ne-
gativer Hinsicht brachten Tronien lasterhafte Eigen-
schaften wie z.B. Trägheit, Hochmut, Lüsternheit,
Torheit und Triebhaftigkeit zur Anschauung. Zwar

fällt es im Einzelfall mitunter schwer, eine Tronie auf
einen konkreten Bedeutungsgehalt festzulegen. Doch
beinhalteten die Bilder offensichtlich das Angebot an
den Betrachter, bestimmte Wert-, Ideal- oder auch
Moralvorstellungen auf die jeweils dargestellte Figur
zu projizieren. Somit konnten Tronien als belehren-
de und/oder erbauende exempla fungieren.
Dies gilt für unterschiedliche Tronietypen, unab-
hängig davon, ob ihr Erscheinungsbild mit Porträts
vergleichbar ist oder nicht. Tendenziell ermöglichten
Tronien, die motivisch der Historienmalerei nahe
stehen und darüber hinaus häufig porträthafte Züge
aufweisen, eher eine Lesart in bono als Tronien, die
mit dem Motivbereich der Genremalerei zu verbin-
den sind. Von Bedeutung ist in diesem Zusammen-
hang, dass sowohl der Historien- als auch der Genre-
malerei didaktische Intentionen eignen konnten,88 so
dass eine gleichsam >erzieherische< oder vorbildhafte
Wirkung von Tronien nut Funktionsweisen dieser
Gattungen in Einklang steht.89
Einschränkend ist zu betonen, dass sich bei weitem
nicht alle Tronietypen dafür eigneten, sie im Sinne vor-
bildhafter oder warnender Beispiele zu interpretieren.
Besonders deutlich wird dies etwa bei jenen Tronien,
die auf die Darstellung eines Kopfes oder Brustbildes
in einfacher bzw. unspezifischer Tracht beschränkt
sind und einen besonders Studienhaften Charakter
aufweisen. Werke wie z.B. Lievens’ Junger Mann mit
Barett in Raleigh (North Carolina Museum of Art)
[Kat. 287, Taf. 60] oder de Grebbers Brustbild einer
jungen Frau im Profil nach rechts in Hannover (Nie-
dersächsisches Landesmuseum) [Kat. 185, Taf. XV, 37]
lassen sich schwerlich mit bestimmten Tugenden und
Lastern oder einem anderweitig lehrhaften Gehalt ver-
binden. Es fragt sich also, welchen Reiz derartige Bil-
der auf den zeitgenössischen Betrachter unabhängig
von jeglicher ikonographischer Bedeutung ausübten.
Letztlich stellt sich diese Frage auch für die in
diesem Kapitel behandelten Tronien, mit denen be-
stimmte allgemeine Inhalte und Wertvorstellungen
in Verbindung gebracht wurden. Bei diesen Inhalten

86 Vgl. oben, Kap. IV.2.2.4.
87 Vgl. Haak 1984, S. 125-129.
88 Vgl. u.a. Lee 1940, S. 226-228; Ellenius 1960, S. 85f.; Jongh
1976; Kat. Amsterdam 1976b; Raupp 1983, S. 412,416; Sut¬
ton 1984, S. XXI; Raupp 1987; Weber 1991, S. 204-208;
Gaehtgens 1996, S. 39f.; Czech 2002, S. 216f., 239f., 247;
Dekiert 2003, passim. Vgl. außerdem die Äußerungen zum
lehrhaften Gehalt von Gemälden bei Kunsttheoretikern wie
z.B. Hoogstraten 1678, S. 88, 93, 349; Goeree o.J. [ca.

1680], S. 33-36. Junius greift das aus der antiken Rhetorik
stammende Diktum des docere, delectare et per movere auf,
wenn er schreibt: »For it goeth heere with painters, as it
goeth with orators and Poets, they must all teach, delight,
and moove.« Junius / Aldrich / Fehl 1991, S. 297. Zum
Forschungsstreit hinsichtlich der Frage nach der symbo-
lischen Bedeutung und lehrhaften Funktion von Genrebil-
dern vgl. Falkenburg 1991; Franits 2004, S. 4-6.
89 Vgl. oben, Kap. III.4.2, S. 227f.
 
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