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Hirschfelder, Dagmar
Tronie und Porträt in der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts — Berlin: Mann, 2008

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.47555#0349

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»Een spiegel des geests« - Tronien als Ausdrucksträger vor dem Hintergrund
zeitgenössischer Affektenlehre und Physiognomik

Unabhängig von den vielfältigen Erscheinungs-
formen des Bildtyps zeichnen sich Tronien grund-
sätzlich durch eine Gemeinsamkeit aus: Zentraler
Gegenstand der Darstellung ist stets das menschliche
Gesicht. Diese allgemeine Feststellung wirft die Fra-
ge nach den zeitgenössischen Wahrnehmungs- und
Bewertungsweisen auf, welche die Betrachtung eines
durch Kunst vermittelten Gesichts und seiner phy-
siognomischen Eigenheiten prägten. Um dem nach-
zugehen, soll zunächst der zeitgenössische Diskurs,
vor dessen Hintergrund gemalte >Gesichter< beur-
teilt wurden, in den Blick genommen werden, um
dann zu untersuchen, welche Aussagen sich hieraus
bezüglich des zeitgenössischen Verständnisses von
Tronien ableiten lassen.
2.1 Das menschliche Gesicht als Träger und
Vermittler von Gemütszuständen und
Charaktereigenschaften im Verständnis
des 17. Jahrhunderts
In der Kunstliteratur, die im 17. Jahrhundert in den
Niederlanden erschien, werden die künstlerische
Darstellung des menschlichen Gesichts und die da-
mit verbundenen Anforderungen an den Maler vor-
rangig im Zusammenhang mit der Gestaltung der Fi-
1 Mander / Miedema 1973, Bd. 1, S. 156 (fol. 22v). Van Mander zählt
folgende Affekte auf: »eerst en al vooren / Liefde / begeerlijckheyt
/ vreucht / smert en tooren / Commer en droefheyt / die t’ herte
bespringhen / Cleynmoedicheyt / vreese quaet om bedwinghen /
Ock opgheblasentheyt / en nijdich veeten / Dees en derghelijck /
al Affecten heeten.« Mander / Miedema 1973, Bd. 1, S. 156, 159
(fol. 22v, 23r), Str. 2. Zu van Manders Auseinandersetzung mit der
Darstellung der Affekte vgl. Miedema 1981, S. 154—156. Zur Be-
deutung überzeugender Affektdarstellung für die zeitgenössische
Kunstauffassung vgl. u.a. Lee 1940, S. 217-226; Blankert 1981/82,
S. 26-28; Weber 1991, S. 195-211; Kemmer 2004, bes.S. 102f.
2 Mander / Miedema 1973, Bd. 1, S. 159 (fol. 23r), Str. 4. Vgl.
hierzu Mander / Miedema 1973, Bd. 2, S. 496, Nr. VI 4d.

guten auf Historienbildern thematisiert. Dabei wird
dem Gesicht eine wichtige Rolle als Vermittler der
Gemütszustände, aber auch als Indikator der Cha-
raktereigenschaften der handelnden Figuren zuge-
schrieben.
Bereits Karel van Mander befasst sich in seinem
Grondt der edel vry schilder-const, und zwar vor-
nehmlich im Kapitel über die »Wtbeeldinghe der
Affecten / passien / begeerlijckheden en lijdens der
Menschen«1, mit der künstlerischen Wiedergabe des
Gesichts. In Anlehnung an Plinius zählt er die ein-
zelnen Bestandteile des menschlichen Antlitzes auf,2
die der Maler so darstellen und zueinander ins Ver-
hältnis setzen solle, »dat sy de saken / Te kennen ghe-
ven / die t’herte beroeren.«3 Ziel des Künstlers war es
somit, die Gemütsregungen der Protagonisten seiner
Figurenbilder in deren Gesichtern anschaulich wer-
den zu lassen. Van Mander betont, wie schwer die
Affekte darzustellen seien,4 rühmt sie aber auch als
»rechte Kernen / Oft Siele / die Const in haer heeft
besloten.«5 Die Darstellung von Gemütsregungen
galt ihm also als eine der wesentlichen Aufgaben der
Malerei.6 Doch diente aus der Sicht des Autors nicht
allein das Gesicht als Vermittler von Emotionen und
Leidenschaften. Vielmehr müsse der Künstler diese
auch mittels der Darstellung von Körperbewegungen
und Gestik der Figuren ausdrücken/
3 Mander / Miedema 1973, Bd. 1, S. 159 (fol. 23r), Str. 5.
4 Mander / Miedema 1973, Bd. 1, S. 159 (fol. 23r), Str. 4.
5 Mander / Miedema 1973, Bd. 1, S. 175 (fol. 27r), Str. 55.
6 Mander / Miedema 1973, Bd. 1, 180 (fol. 28v), Str. 70: »Dan
mijn hop’ is wel / dat dit [...] den lust doen wassen / Voort-
aen beter op d’Affecten te passen.« Dass die überzeugende
Darstellung der Affekte, dem Maler zum Ruhm gereiche,
geht hervor aus Mander / Miedema 1973, Bd. 1, S. 175f. (fol.
27r, 27v), Str. 55. Vgl. dazu Mander / Miedema 1973, Bd. 2,
S. 506, Nr. VI 55h.
7 Vgl. u.a. Mander / Miedema 1973, Bd. 1, S. 156 (fol. 22v),
Str. 1,S. 159 (fol. 23r), Str. 6, 7.
 
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